Fear
ausschließen, dass sie beide ihre ganz persönlichen Interessen verfolgten. Was er brauchte, war eine Bestätigung durch eine objektivere Quelle.
Er wandte sich wieder dem Australier zu. »Glauben Sie wirklich, dass sie es noch einmal versuchen werden?«
»Ganz bestimmt. Aber sie werden ihre Taktik ändern, wie sie es schon einmal getan haben.«
Joe starrte ihn an. »Schon einmal?«
»Ja. Als Leon das Taxiunternehmen von Trelennan übernehmen wollte, arbeitete er mit Vandalismus und fingierten Reservierungen. Achtzehn Monate lang jede Nacht etwas anderes. So hat er den Eigentümer in den Wahnsinn getrieben.«
Davy lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und spulte mit halb geschlossenen Augen die Details herunter. »Bei der Spielhalle dagegen bekam die Polizei einen anonymen Hinweis. Auf dem Computer des Inhabers wurde Kinderpornografie gefunden. Roger Pengelly, ein netter Kerl. Schwor Stein und Bein, jemand habe ihm das Zeug untergejubelt, und zum Glück gab es genug Personen, die Zugang zu seinem Büro hatten, um Zweifel an seiner Schuld zu wecken. Die Anklage wurde fallen gelassen, aber Sie wissen ja, wie das in solchen Fällen ist.«
Joe nickte grimmig. »Irgendwas bleibt immer hängen.«
»Die Leute haben ihre Kinder nicht mehr in die Nähe der Spielhalle gelassen. Leon machte ihm ein Angebot, und Roger blieb nichts anderes übrig, als es anzunehmen. Eine verdammt effektive Methode, ein Imperium aufzubauen, wenn man keine Vergeltungsakte befürchten muss.«
»Und das muss Leon Race nicht?«
»Nicht hier in der Gegend. Das würde niemand wagen.«
»Und die Polizei?«
Davy zuckte mit den Achseln. »Die örtliche Wache wurde vor ein paar Jahren geschlossen. Wurde nicht mehr gebraucht, da die offizielle Kriminalitätsrate gleich null ist. Ich denke, man kann auch getrost davon ausgehen, dass Leon freundliche Beziehungen zu dem einen oder anderen leitenden Polizeibeamten pflegt.«
Joe gab keine Antwort. Wenn der Polizei Korruption unterstellt wurde, weckte das in ihm stets das instinktive Bedürfnis, seinen ehemaligen Berufsstand zu verteidigen, obwohl er aus bitterer Erfahrung wusste, dass es dort durchaus das eine oder andere schwarze Schaf gab.
Stattdessen fragte er: »Wussten Sie, dass zurzeit ein Journalist in der Stadt ist, der einen Artikel über Leon schreibt?«
»Ach ja? Den lassen sie bestimmt nicht näher als eine Meile an diese Galerie ran.« Davy wurde nachdenklich. »Wenn Alise vielleicht eine Gelegenheit bekäme, mit ihm zu sprechen …?«
»Ich bin mir nicht sicher, ob er sonderlich viel Verständnis für ihre Sache aufbringen würde, aber vielleicht ist es einen Versuch wert. Nur müsste ich sie dazu erst mal finden.«
Davy setzte sich auf. »Was soll das heißen? Ist Alise etwa verschwunden?«
Die Reaktion des Australiers löste in Joe einen Anflug von Besorgnis aus. »Nicht direkt. Ich habe sie gestern Abend gesehen, und kurz darauf hat sie mir eine SMS geschrieben. Wissen Sie, wo sie wohnt?«
»Ich habe ihre Adresse irgendwo.« Davy legte die Fingerspitzen zusammen und hielt sie an die Lippen, als ob er inbrünstig betete. Seine Augen schienen sich in Joe zu bohren. »Meine Andeutung, dass die Polizei korrupt sein könnte, hat Ihnen nicht gefallen. Sind Sie selbst Polizist?«
»Ich war einer, aber das ist lange her.«
»Dachte ich mir. Das ist gut. Es bedeutet, dass Sie über das nötige Expertenwissen verfügen, um Alise helfen zu können. Was ist Ihre ehrliche Einschätzung bezüglich Kamila? Glauben Sie, dass sie tot ist?«
»Ich glaube, dass ihr etwas Ernsthaftes zugestoßen ist«, räumte Joe ein. »Aber was genau – und wer dahintersteckt –, dürfte sehr schwer zu ermitteln sein.«
»Immerhin sind Sie bereit zuzuhören. Das ist mehr, als man von den meisten Leuten hier in der Stadt erwarten kann. Ich weiß, dass Leon in die Sache verwickelt ist, weil ich gesehen habe, wozu er fähig ist.«
Joe hob eine Hand. »Die Art von Einschüchterung, die Sie geschildert haben, ist furchtbar. Aber das ist nicht dasselbe wie Entführung und Mord.«
»Da bin ich anderer Meinung. Für mich ist es genau dasselbe. Es geht um Habgier. Darum, seinen Willen durchzusetzen.« Davy war lauter geworden, je mehr er sich in Rage redete; jetzt bemühte er sich, seine Stimme unter Kontrolle zu halten. »Leon Race ist ein Rüpel. Ein großer Junge, der nie gelernt hat, Kompromisse einzugehen. Er weiß, dass es ihm an Bildung mangelt. Er ist beinahe stolz darauf. Aber wussten Sie, dass er nie
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