FebruarNachtsTraum
schuldiger, dabei war das alles nicht meine Idee.
»Stottern Sie nicht herum! Antworten Sie klar und präzise!«
Nun stottere ich noch mehr: »Ja-a-a … mmh … sti-sti-stimmt.«
Sie seufzt. »Liegt dort irgendwo sein Krankenblatt herum?«
»Ich glaub nicht, dass die das einfach so …«
»Suchen Sie schon danach!«, fährt sie mich an und erklärt, wie so etwas aussieht und wo es stecken könnte.
Okay, okay. Ich mache mich so leise wie möglich ans Werk und schleiche durchs Zimmer.
» Gopferdammi , können Sie nicht schneller?« Ein anstrengender Schwall Schweizerdütsch folgt.
»Und können Sie nicht leiser sein«, zische ich. »Ihr Sohn schläft gerade.«
»Oh!« Plötzlich ist sie wieder zahm.
»Ja, oh.« Ich suche das Bett ab und finde tatsächlich einen Zettel mit krakeligen Angaben zu Alexanders Zustand. Das muss es sein!
»Lesen Sie vor!« Sie schluckt und klingt plötzlich heiser. » Bis so guet? «
Langsam und leise entziffere ich Bemerkung für Bemerkung und gebe sie durch, ohne zu wissen, wovon ich spreche. Als wir fertig sind, atmet sie erleichtert auf. »Sie sind Ärztin?«
Sie räuspert sich. Genau wie Alexander hält diese Frau es nicht für nötig, auch nur den Hauch einer privaten Information mit mir zu teilen. »Könnten Sie meinen Sohn bitte wecken? Ich würde gerne mit ihm persönlich sprechen.«
»Aber er schläft!« Für mich selbst überraschend ist mein Ton ziemlich angriffslustig. »Er sieht müde aus«, füge ich freundlicher hinzu.
»Schon in Ordnung, Elizabeth.«
Das Krächzen neben mir, lässt mich den Hörer senken. Wir haben Alexander wach gemacht. Blöder Mist!
»Komm, reich mir mal das Telefon!« Er streckt seine bleiche Hand aus und ich übergebe ihm das Handy. Unsere Finger berühren sich. Seine sind ungewohnt kühl und verschwitzt. »Lass uns fünf Minuten allein, Elizabeth! Bist du so nett?«
» Bittäscheen! «, imitiere ich stümperhaft irgendeinen süddeutschen Dialekt, der wahrscheinlich erst noch erfunden werden muss, und werde dafür mit einem amüsierten Lächeln belohnt. Mit einem so kalkweißen Patienten werde ich keinen Streit darüber anfangen, was richtig ist und was nicht.
»Hallo Müeti !«, höre ich in meinem Rücken. Dann folgt ein lustiges Kauderwelsch, was ich eh nicht verstehen würde. Da könnte ich auch bleiben! Dennoch ziehe ich die Tür hinter mir zur.
Ich steuere die Cafeteria an und rümpfe meine Nase. Der Geruch von Desinfektionsmittel mischt sich mit dem Aroma von billigem Filterkaffee. Igitt. Frustriert schalte ich mein Handy wieder scharf und rufe Mama an, um minutenlang meine Empörung zu teilen. Dann atme ich tief durch.
»Schätzchen, das sind ja schreckliche Neuigkeiten!«
»Ich weiß.« Tränen füllen meine Augen. Dummer Reflex. Passiert nur, sobald ich nicht mehr völlig alleine mit allem klar kommen muss. Wie eine Dreijährige wische ich mir mit dem Ärmel meine Wangen trocken und ziehe die Nase hoch. Wie gut, dass mich niemand aus der Firma so sieht. Und Katharina und Jan. Und Roman sowieso.
»Geht es dir gut, Kleines? Egal, was seine Mutter gesagt hat, es ist nicht deine Schuld. Hörst du?«
»Mmh.«
»Warum ist denn nur Roman nicht bei dir?!«
Gute Frage.
»Kann ich was für dich tun?«
Ich reibe meine Schläfen. »Mama, mir würde es besser gehen, wenn es Alexander besser geht.« Meine Stimme wird immer leiser. Sind das nun Schuldgefühle, die aus mir sprechen, oder Sorge um einen Menschen, der mir plötzlich wichtig ist? Warum ist das Leben nicht einfacher?
»Ach, Kleines!« Mama versteht mich. »Alexander sollte viel trinken, Fencheltee zum Beispiel, und vielleicht gibt es etwas Zwieback im Krankenhaus?«
Ich nicke stumm zu jedem Hinweis und beruhige mich. Auf der Hinfahrt habe ich einen Supermarkt in der Nähe entdeckt. Das sollte zu bewerkstelligen sein. »Mama, lass uns jetzt Schluss machen.«
»Ist gut, Kleines. Wenn du was brauchst, meld dich einfach.«
»Danke, Mama.« Wir wissen beide, dass ich das nicht tun werde.
Im Stechschritt eile ich zum Supermarkt, doch es gibt keinen Zwieback. Dafür besorge ich mir eine Familienpackung Twix und für Alexander etwas Tee aus der Gesundheitsecke.
Als ich beinahe eine Stunde später wieder das Zimmer betrete, schlägt mir erneut der saure Geruch von Erbrochenem entgegen. Ich kippe das Fenster an und sofort strömt frische Winterluft in den Raum. Ich hole die Decke vom zweiten Bett und lege sie ebenfalls auf Alexander. Vorsichtig setze ich ihm die Brille ab
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