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Feder im Sturm: Meine Kindheit in China (German Edition)

Feder im Sturm: Meine Kindheit in China (German Edition)

Titel: Feder im Sturm: Meine Kindheit in China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Wu
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ihnen, Li Bingzhi, durfte zur Schule gehen, weil sie behindert war. Als kleines Kind war sie an Polio erkrankt und hatte deshalb ein verkrüppeltes Bein. Sie ging an Krücken und konnte nicht auf dem Feld arbeiten. Ihre Familie war zu dem Schluss gekommen, dass sie mit einer besseren Schulbildung vielleicht Buchhalterin werden konnte und mehr Chancen hatte, einen Mann zu finden. Als Bäuerin war sie jedenfalls ungeeignet und daher für die Männer des Dorfes nicht begehrenswert.
    Das andere Mädchen in unserer Klasse, Liu Chaoping, stammte aus einer Familie von Landsiedler-Kadern in einem Nachbardorf. Ihr Vater war einst ein Kollege meiner Eltern gewesen. Alle Schülerinnen und Schüler sollten ihren eigenen Tisch oder eine Schulbank und einen Hocker in die Schule mitbringen. Bingzhi brachte einen kleinen viereckigen Tisch, ich setzte mich mit meinem kleinen Hocker zu ihr, und Chaoping gesellte sich, ebenfalls mit einem eigenen Hocker, als Dritte zu uns. Weil unser Tisch kürzere Beine hatte als die anderen, ließen uns die Lehrerinnen ganz vorn sitzen. In den Pausen spielten wir drei zusammen.
    Für die Landschulen war es schwer, Lehrpersonal zu finden. Dieses Problem lösten die Kommunenleiter, indem sie »gebildete Jugendliche« als Lehrer verpflichteten – Mittel- und Oberschulabsolventen, die auf Geheiß des Vorsitzenden Mao aufs Land verschickt worden waren, um von den Bauern umerzogen zu werden. Stattdessen unterrichteten sie nun die Kinder der Bauern.
    Unsere Englischlehrerin war eine junge Frau namens Ying Zaizhou und stammte aus Nanjing. Sie war mollig, hatte zarte Gesichtszüge und sah wie eine Städterin aus. Ihre Haut war blass und ihr Haar kurz und lockig, was auf dem Land ungewöhnlich war. Wenn sie lächelte, verwandelten sich ihre Augen in zwei Schlitze und schlossen sich beinahe vollständig. Wegen ihres starken Nanjing-Dialekts verstanden wir sie oft schlecht. Ying Zaizhou hatte nur einen Oberschulabschluss, aber sie gab sich beim Unterrichten alle Mühe. Zwar hatten wir keine Ahnung, was wir als Bauern mit Englisch anfangen sollten, doch so war es nun mal vorgeschrieben.
    Papa half mir in Englisch. Wenn ich nachmittags heimkam, verlangte er: »Lies mir deine heutige Englisch-Lektion vor.« Und dann korrigierte er mich: »Nein, nein, nicht so – so«, und brachte mir die Wörter und Sätze in einer gänzlich anderen Aussprache bei.
    Doch wenn ich englische Wörter in der Art vorlas, wie Papa es tat, machte sich die Lehrerin über mich lustig. »Wie kommst du darauf, dass man das Wort so ausspricht?«, fragte sie dann. Ich war frustriert und hasste Englisch. Schließlich fand Papa heraus, was das Problem war: Ying Zaizhou sprach jedes englische Wort so aus, als wäre es von einem chinesischen Schriftzeichen abgeleitet. Tatsächlich hatte sie nie richtig gesprochenes Englisch gehört. Wenn ich Papa vorlas, lachte er und meinte: »Ich fürchte, du lernst eine Sprache, die nur von eurer Lehrerin und ihren Schülern gesprochen wird. Niemand sonst auf der Welt versteht auch nur ein Wort von eurem Kauderwelsch!«
    Innerhalb wie außerhalb unserer Klassenzimmer herrschte praktisch immer die gleiche Temperatur. Deshalb begann der Unterricht im Winter stets mit Aufwärmübungen. Wir rieben die Hände aneinander, machten Hampelmänner und klopften uns auf Arme und Beine. Im Sommer saßen wir auf unseren Bänken und schwitzten, bis wir triefnass waren.
    Nach den ersten Unterrichtswochen stellte man mir die Mitgliedschaft im Kommunistischen Jugendverband in Aussicht. In der Grundschule in Hefei hatte man mir wegen meines familiären Hintergrundes nicht gestattet, in die Kleinen Roten Garden einzutreten. Doch auf dem Land war das Klassenbewusstsein nicht ganz so unerbittlich. Die Mitglieder des Kommunistischen Jugendverbandes, die meine Herkunft überprüften, hatten mich als »erziehbares Kind problematischer Eltern« eingestuft. Sie trugen mir an, einen Aufnahmeantrag zu stellen. Allerdings müsse ich unter Beweis stellen, dass ich für eine Mitgliedschaft wirklich geeignet sei. Ich müsse zeigen, dass ich eine gute Schülerin und eine gute Kommunistin sei. Aufgrund meiner familiären Herkunft müsse ich mich natürlich mehr anstrengen als die anderen.
    Ich wollte gern Mitglied werden. Der KJV stellte für mich eine Art Befreiung dar. Zwar glaubte ich kein Wort von den Phrasen, die ich auswendig lernte, oder den
Worten des Vorsitzenden Mao,
die ich skandierte. Vielmehr wusste ich seit meinen letzten Tagen

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