Fee und der Schlangenkrieger
der Anführerin darin besteht, die Zeit des Friedens zurückzubringen, in der wir keine Waffen kannten.“ Fee hörte fasziniert zu. Die Erinnerung an die matriarchale Zeit vor der Einwanderung der Indoeuropäer und dem Beginn der Bronzezeit hatte im kollektiven Gedächtnis der Schlangenleute als Legende einer Friedenszeit überdauert. Eine Art verlorenes Paradies?
Lenyal zuckte mit den Achseln. „Früher waren die Stabbeile aus Kupfer und davor sollen sie aus Stein gewesen sein.“
Fee starrte ihn an. Er hatte noch nie so viele Wörter mit ihr gesprochen. Lenyals Blick ruhte auf dem Stabdolch,
Stabbeil
korrigierte sie sich, in ihrer Hand.
„Bei festlichen Angelegenheiten möchte das Dorf, dass ich das trage. Es gehört zu dem Bild, dem der Anführer entsprechen muss.“
Er wirkte ein wenig verlegen. Fee saß auf ihrem Fass etwas höher als er und konnte zum ersten Mal zu ihm herunter blicken. Sie gab ihm das Stabbeil zurück. Lenyal schob es in seinen Gürtel, verschränkte zu Fees Überraschung die Arme vor der Brust und lehnte sich neben Fees Fass an die Wand. Sie hätte gedacht, dass er sich wieder verziehen würde.
„Danke, dass du's mir gezeigt hast“, sagte sie.
Er warf ihr einen kurzen Blick zu und machte eine Kopfbewegung, die Fee für ein Nicken gehalten hätte, wenn die Bronzezeitler diese Geste gekannt hätten.
Eine Weile lang beobachteten sie beide die Tanzenden. Aber sie konnte sich nicht helfen. Sein Schweigen machte sie nervös.
„Lenyal?“, fragte sie schließlich.
„Ja?“, sagte er, ohne den Kopf zu drehen.
„Wofür warst du dankbar?“ Er sah sie überrascht an. „Vorhin. Beim Opfer.“
Lenyal hob die Augenbrauen.
„Ich war dankbar, dass mein Volk einen harten Winter überstanden hat. Dafür, dass Freja noch bei uns ist.“
Fee nickte langsam.
„Ihr steht euch sehr nah, oder?“
„Natürlich“, Lenyal wandte sich wieder ab, „sie ist meine Schwester.“
„Sie nennt dich
der
Kleine,
wenn sie von dir spricht.“
Lenyals Mundwinkel bewegten sich und beinahe wäre es ein Lächeln gewesen.
„So hat sie mich immer schon genannt. Sie ist sechs Jahre älter als ich, ich
war
immer der Kleine. Hast du Geschwister?“
„Nein“, sagte Fee, „wir waren immer nur zu dritt, meine Eltern und ich. Ich finde es schwierig, mir dich als Kind vorzustellen.“
„Freja hat mich kämpfen gelehrt“, Lenyal ignorierte ihren Satz, „sie war die beste Lehrerin, die man sich wünschen konnte.“
„Schade, dass ich sie nie habe kämpfen sehen. Sie... sie hat nicht mehr viel Kraft, oder?“
„Nein“, sagte Lenyal. Fee sah ihn traurig an. Er tat ihr sehr leid, aber sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
„Ein paar Tage noch, schätze ich“, fügte Lenyal hinzu und Fee hielt den Atem an.
„Ist das alles?“
„Ja.“
„Oh Lenyal, es muss schrecklich sein, seine Schwester sterben zu sehen“, platzte sie heraus, „gehen zu lassen. Es tut mir so leid.“
Zu Fees Überraschung sah Lenyal wieder ein wenig amüsiert aus.
„Freja hat mir immer gesagt, dass ich lernen muss, Menschen gehen zu lassen. Es scheint, dass sie immer noch meine Lehrerin ist.“
Fee beobachtete sein Gesicht. Sie konnte seinen Gesichtsausdruck im Feuerschein erkennen, aber keine Details. Sie fand, er sah nachdenklich aus.
„Lenyal?“, fragte sie zögernd. „Was ist damals passiert, vor vier Jahren?“
Sein Gesicht verschloss sich wieder. Fee rutschte von ihrem Fass herunter und trat zu ihm. Sie streckte die Hand aus und erinnerte sich dann, dass sie ihn besser nicht anfasste, nachdem er letztes Mal so wütend geworden war.
„Erzähl mir, was genau damals passiert ist, damit ich verstehen kann, wieso du ihn so sehr hasst.“
Lenyal zog eine Grimasse. Dann strich er sich die Haare aus dem Gesicht und sah Fee an.
„Also gut. Ennaj und ich waren seit einem Jahr verheiratet. Das war spät. In unserem Volk heiraten wir meistens früher.“ Fee rechnete schnell nach. Er musste etwa dreiundzwanzig gewesen sein. „Ich war glücklich“, fuhr er fort, „ich habe Ennaj sehr, sehr geliebt. Sie war sehr... sie war wie ein Fels. Damals haben das Sonnenpack und wir uns immerzu bekämpft, es gab ständig Angriffe, Kämpfe, Verletzte...“
„Mehr als jetzt?“
„Ja“, sagte Lenyal nachdrücklich, „viel mehr. Und Ennaj war an meiner Seite. Sie kämpfte selber nicht, sie mochte es nicht. Genau wie du.“
Fee verzog das Gesicht.
„Natürlich konnte sie kämpfen. Wie alle unseres Volkes hatte sie es
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