Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feenkind

Feenkind

Titel: Feenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Zeißler
Vom Netzwerk:
würde die andere Frau etwas darin suchen, dann entspannte diese sich plötzlich und lächelte Dhalia leicht an.
"Ich habe die ganze Zeit über versucht, mich daran zu erinnern, wo ich schon einmal so grüne Augen wie die deinen gesehen habe. Es war vor langer Zeit gewesen. Ja, genau. In Karakun, am Ufer des Ostmeeres war es gewesen." Lenutas Stimme war leise, als wäre sie selbst wieder dort und würde über den Abstand der Jahrzehnte das Bild vor ihren Augen beschreiben. "Ein junges Ehepaar war da. Sein Gesicht ist mir entfallen, doch sie hatte mich aus ihren grünen Augen angeblickt, genauso wie du gerade. Ja, grüne Augen waren es gewesen, umrahmt von dichten golden schimmernden Locken. Sie hatten vor meinem Stand gestanden. Damals war ich als Wahrsagerin durch die Lande gezogen. Ich bot ihnen an, für sie in die Zukunft zu schauen. Da schenkte sie mir ein eigenartiges Lächeln und ging weiter. Damals habe ich gedacht, es war Unglauben gewesen, doch heute denke ich, es war Weisheit." Ihre Stimme hatte wieder ihren normalen Klang, als sie sich neugierig an Dhalia wandte. "Und was glaubst du, Dhalia von Annubia? Glaubst du an Wahrsagerei?"
Dhalias erster Impuls war, die Frage heftig zu verneinen. Doch sie stockte, bevor sie die Worte aussprechen konnte. Ihr ganzes Leben war von einer Prophezeiung bestimmt gewesen. Und ob sie nun daran glaubte oder nicht, sie handelte immer noch danach. Mit Schrecken wurde ihr bewusst, dass sie, wenn sie nicht daran glaubte, ihre Suche auch gleich abbrechen und nach Hause gehen konnte. Ob ihr Leben einen Sinn hatte, hing offensichtlich davon ab, ob sie an Wahrsagerei glaubte. Das war doch nicht möglich. Verwirrt schüttelte sie den Kopf.
Fasziniert beobachtete Lenuta das Gedankenspiel, das sich auf Dhalias Gesicht abzeichnete. Sie hatte nicht damit gerechnet, bei dem Mädchen mit ihrer Frage eine so heftige Reaktion auszulösen.
"Ich weiß es nicht", sagte Dhalia schließlich unsicher. "Ich nehme an, es gibt solche und solche."
"Wie meinst du das?" fragte Chris neugierig. Auch er war überrascht. Er hatte erwartet, dass sie die Frage, ebenso wie er, mit einem klaren
    Nein!
beantwortete. Er jedenfalls hielt nicht viel davon, auch wenn Lenuta immer wieder versuchte, ihn zu bekehren. Obwohl sie sehr oft Recht hatte, bezweifelte er, dass es auf etwas zurückzuführen war, das sie in seiner Hand oder dem Fall kleiner Knochen oder irgendwelchen Karten las. Es war wohl eher in ihrem gesunden Menschenverstand und Lebenserfahrung begründet. Doch Dhalia sah es offenbar anders.
"Ich denke, dass es echte Prophezeiungen geben kann", sagte sie langsam. "Ich glaube aber nicht daran, dass jemand die Zukunft aus einer Handfläche heraus lesen könnte."
"Das ist aber schade", erwiderte Lenuta. "Ich würde dir sehr gern aus der Handfläche lesen." Sie streckte ihre Hand einladend über den Tisch.
Unwillkürlich ballte Dhalia ihre eigenen Hände zu Fäusten und zuckte ein wenig zurück. "Das ist nicht nötig, danke." Sie bemühte sich um ein höfliches Lächeln.
Lenuta betrachtete sie amüsiert. "So schnell strafen Menschen ihre eigenen Worte Lügen."
Dhalias Augen blitzten überrascht auf.
"Wenn du nicht daran glauben würdest, würdest du mir deine Hand ohne Zögern überlassen. Was auch immer ich darin lesen würde, es würde dir nichts bedeuten. Wieso also nicht einer alten Dame ihr Vergnügen gönnen?" Als Dhalia schwieg, fuhr Lenuta fort. "Selbst Chris zögert immer, obwohl er vermutlich wirklich nicht daran glaubt."
"Was habt Ihr ihm denn geweissagt?" fragte Dhalia neugierig.
"Oh, bei anderen hast du also keine Bedenken?" lachte Lenuta. "Nun, bei Chris ist es meistens das übliche - Geld, schöne Frauen, Abenteuer."
"Und ist schon vieles davon eingetreten?"
"Das Geld lässt noch etwas auf sich warten", antwortete Chris ihr augenzwinkernd.
Dhalia lächelte verlegen.
"Nun, Dhalia, was sagst du?" Lenuta ließ nicht locker. "Wie du siehst, hat es Chris nicht wehgetan. Es kann nur von Vorteil sein, etwas über seine Zukunft zu erfahren."
"Schon, aber ..."
"Kommt schon, Dhalia, es ist ein harmloser Zeitvertreib", mischte sich nun auch Chris ein. "Ihr könnt es ja wie die meisten Menschen machen: wenn es Euch gefällt, glaubt daran. Wenn nicht, ist Lenuta eben nur eine Scharlatanin." Er grinste spitzbübisch.
"Also gut." Die junge Frau legte ihre Handfläche widerstrebend auf den Tisch. Sie wusste nicht genau wieso, aber sie fühlte sich nicht wohl dabei. Sie wollte bloß keine Spielverderberin sein.

Weitere Kostenlose Bücher