Feenkind
federnd. Die Einheimischen verwenden es mit Vorliebe für ihre Boote." Er holte noch einmal mit der kleinen Axt aus und ließ sie zielsicher niedersausen, so dass der Ast vom Stamm getrennt wurde. Chris warf einen zufriedenen Blick darauf und schleuderte ihn zu Boden auf einen Haufen ähnlicher Äste und dünner Baumstämme. "Ich denke, das sollte reichen", beschloss er und klopfte sich den Staub von den Händen. "Wir müssen sie nur noch mit Seilen zusammenbinden und dann kann's schon losgehen."
Dhalia ließ sich von seiner guten Laune gerne anstecken. "Ich mache mich nur eben frisch, dann helfe ich dir." Sie erhob sich und griff nach ihrem Bündel.
"Haben wir noch etwas von dem Dörrfleisch?" fragte Chris begierig.
Sie lachte. "Es müssten noch ein oder zwei Streifen übrig sein. Zum Mittag versuche ich dann ein paar Fische zu organisieren."
Mit dem Floß hatte Chris ihr wirklich nicht zu viel versprochen. Obwohl es recht klein war, hielt es sich gut über Wasser und ließ sich mit den beiden schmalen Holzbrettern, die er als Ruder verwendete, relativ gut steuern. Je näher sie jedoch an den Wasserfall herankamen, desto schwieriger wurde das Vorwärtskommen. Ein Nebel feiner Wassertropfen erfüllte die Luft und verdeckte sogar die Sonne vor ihren Augen. Binnen weniger Minuten waren Dhalia und Chris völlig durchnässt. Auch die Strömung wurde immer stärker und trieb das Floß in die brodelnden Wirbel des Wassers.
"Versuch den Felsen neben dem Wasserfall zu erreichen!" schrie Dhalia Chris zu und deutete nach vorne, um ihm ihr Vorhaben zu verdeutlichen. "Vielleicht können wir am Felsen einfacher vorankommen."
Chris nickte und biss vor Anstrengung die Zähne zusammen, als er versuchte, gegen den Sog der Strömung anzukämpfen. Schließlich erreichten sie einen kleinen Felsvorsprung, an dem sie ein wenig verschnaufen konnten. Dhalia hatte Recht gehabt. Die Strömung war direkt an der Felswand um einiges ruhiger.
"Und nun?" fragte sie etwas verunsichert.
"Wir bleiben direkt an der Wand und arbeiten uns langsam zu dem Wasserfall vor. Wenn wir hier richtig sind, und davon gehe ich aus, muss es hier irgendwo eine Höhle geben", sagte Chris zuversichtlich. "Wir müssen sie nur finden."
Dhalia nickte zustimmend. Eine andere Idee hatte sie auch nicht.
Viele Stunden später schleppten sich Dhalia und Chris kalt, nass und völlig erschöpft ans Ufer. Dhalia war vor Enttäuschung den Tränen nah. "Das kann doch nicht wahr sein!" rief sie zum wiederholten Male aus. Und wie zuvor kassierte sie auch dieses Mal von Chris nur ein resigniertes Schulterzucken. "Es muss hier irgendwo sein, das muss es einfach!"
"Du musst dich umziehen", ermahnte Chris sie mechanisch. Auch er war müde, hungrig und frustriert. Wie es aussah, waren sie viele Wochen lang einer falschen Fährte gefolgt. Nun, das kam vor. Was ihm jedoch keine Ruhe ließ, war die Tatsache, dass er sich völlig grundlos erneut Elizas Zorn zugezogen hatte.
Dhalias Gedanken waren in eine ähnliche Richtung gegangen, doch sie konnte sich nicht damit abfinden. Nachdem sie sich umgezogen hatte, wickelte sie sich in ihre Decke und nahm sich wieder das Buch zu Hand. Immer wieder schaute sie sich die Bilder an, die ihr die Lupe zeigte, in der Hoffnung, irgendeinen Hinweis zu bekommen, etwas zu sehen, das ihr bislang entgangen war.
Anfangs hatte Chris ihr noch über die Schulter geschaut, es jedoch nach vier oder fünf Durchläufen schließlich aufgegeben und sich - in seine Decke gewickelt - am Lagerfeuer ausgestreckt. Nur Dhalia kämpfte verbissen gegen ihre Müdigkeit an, bis die Bilder vor ihr in eins verschmolzen und sie nichts mehr erkennen konnte.
Irgendwann wachte Chris auf und sah sie noch immer über das Buch gebeugt sitzen, den Blick der glasigen Augen starr auf die Lupe gerichtet. Er beobachtete sie stumm einige Augenblicke. Trotz der Vergeblichkeit ihres Tuns konnte er ihre Hartnäckigkeit nur bewundern. Auf einmal wirkte sie jedoch wieder sehr jung auf ihn - irgendwie hilflos und verloren, als wüsste sie nicht, was sie tun sollte, falls sie ihre Antwort nicht fand.
Er erhob sich und trat leise hinter sie. Sie schien ihn erst in dem Augenblick zu bemerken, als er ihr das Buch sanft aus den Händen nahm. "Es ist genug, Dhalia", sagte er leise. "Du musst dich jetzt ausruhen, Kleines. Morgen ist auch noch ein Tag."
Sie blickte zu ihm hoch - überrascht, dankbar und voller Vertrauen. "Ja", nickte sie und schmiegte ihren Kopf plötzlich an seine Schulter.
Chris erstarrte
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