Feentod
loslassen. Vor ihren geschlossenen Augen bildeten sich lauter schwarze Punkte. Mit einem Mal war ihr Kopf schwer wie ein Stein.
Dass Alina plötzlich vor ihr stand, bekam Noraya nur noch verschwommen mit. Es kam ihr vor wie ein Traum. Ein lustiger Traum, weil Alina so komisch aussah und sie anstarrte, als hätte sie einen Geist gesehen. Erkannte Alina sie denn nicht? Sie konnte gar nicht anders, als zu kichern. Sie kicherte und weinte abwechselnd, als die Krankenpfleger sie auf die Trage legten und in den bereitstehenden Ambulanzwagen schoben.
30.
N oraya schlug die Augen auf. Um sie herum war nichts als weiÃer Stoff. DrauÃen war es taghell. Krankenhaus, fiel es ihr ein, ich bin im Krankenhaus. Die Erleichterung darüber hätte nicht gröÃer sein können. Niemand war bei ihr und auch im Nachbarbett schien keiner zu liegen. Die weiÃe Decke hing zurückgeschlagen etwas nach unten. Langsam kamen alle Erinnerungen an den gestrigen Abend zurück und mit ihnen auch die Angst. Anders als gestern, aber sie war da. Als ob sie in ihren Körper hineingekrochen wäre wie ein Krebs in ein altes Schneckenhaus.
Ganz deutlich sah sie Hagens Gesicht vor sich, spürte seine Lippen auf ihren und roch ihn, als ob er direkt neben ihr läge. Haben die mich gar nicht gewaschen?, fragte sie sich und wollte sofort nach der Schwester rufen. Ehe sie die Klingel gefunden hatte, öffnete sich die Tür. Vorsichtig schaute ihre Mutter durch den Spalt. Die Müdigkeit auf ihrem Gesicht verflog, als sie sah, dass Noraya wach war. »Mein Liebes«, sagte sie sanft und trat ans Bett ihrer Tochter. Als sie ihr übers Haar strich, schossen Noraya sofort die Tränen in die Augen. »Es ist alles gut!« Mama drückte ihr einen zarten Kuss auf die Wange â sie roch so gut, ganz klar und sauber.
»Ich muss mich abduschen, Mama. Hilfst du mir?«
»Du hast eine schwere Gehirnerschütterung. Und deine Schulter ist dick angeschwollen. Unter die Dusche kannst du so noch nicht.«
»Ich muss mich aber waschen«, versuchte Noraya es lauter. »Am liebsten würde ich mir die Haut abschrubben!« Mama nickte verständnisvoll.
»Ich werde dich waschen. Okay?« Sie verschwand und kam nur wenige Momente später mit einer Schüssel voll Wasser, Seife und einem Lappen zurück.
»Wo soll ich dich alles waschen?«
»Im Gesicht, meine Arme, meine Hände. Ich habe das Gefühl, sein Geruch klebt überall an mir!«
Ihre Mutter begann vorsichtig, sie zu waschen. Der weiche feuchte Lappen auf ihrer Haut und Mamas Nähe taten ihr gut, sie scheuchten die Angst aus ihrem Körper.
»Die Ãrzte sagen, er hat dich nicht vergewaltigt.« Noraya nickte. Nein, hatte er nicht.
»Haben sie ihn geschnappt?«, fragte Noraya und erschrak über Mamas Reaktion. Frau Al Ibis Hand begann zu zittern. Sie stellte die Schüssel auf dem Tisch ab und setzte sich dann wieder auf den Rand des Bettes.
»Etwa nicht?«
»Du musst jetzt stark sein, Nora. Er ist tot«, sagte sie schnell.
»Oh Gott!«
»Da ist ein Gang eingestürzt, in den er sich geflüchtet hat. Eine Art Stollen. Normalerweise sind die nicht zugänglich. Aber der Junge muss sich irgendwie Zugang verschafft haben. Genaues weià ich nicht, nur dass die Polizisten dort auch hineinwollten und dann ist plötzlich etwas eingestürzt. Man konnte ihn nicht mehr retten.«
Noraya starrte ihre Mutter mit weit aufgerissenen Augen an. Sie fühlte nichts. Keinen Schrecken, keine Erleichterung, nur Leere. Auch sie hätte da unten sterben können, dachte sie und war überrascht, wie kalt sie dieser Gedanke lieÃ.
Es klopfte zaghaft an der Tür. Helia und Papa kamen herein. Als Helia sah, dass ihre Schwester wach war, stürmte sie an ihr Bett und umarmte sie. Obwohl ihre Schulter wehtat, hielt Noraya sie fest an sich gedrückt.
Papa sagte nichts. Er schaute sie nur an und Noraya sah den Schmerz in seinen Augen. Ob er alles weiÃ, fragte sie sich und jetzt fühlte sie auch wieder etwas â ein Ziehen in ihrer Brust. Alles war nun anders. Hagen war tot, der Terror der letzten Wochen vorbei, sie lag im Krankenhaus und Papa war hier. Was wusste er? Was hatte Mama ihm gesagt?
»Hast du Schmerzen?«, war seine erste Frage.
»Kopf und Schulter«, antwortete Noraya und löste sich von ihrer Schwester.
»Seit wann hat dieser Kerl dir nachgestellt?« Papa hatte sich
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