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Feind des Feindes

Feind des Feindes

Titel: Feind des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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wissen?« fragte Carl, ohne sich umzudrehen. Er war immer noch mit dem Kaminfeuer beschäftigt. Der Alte hatte ein eisernes Gestell im Kamin, das angeblich praktisch war, aber immer nur dazu führte, daß das Feuer ausging.
    Der Alte antwortete nicht, und Carl drehte sich nicht um. Das Knistern des Kaminfeuers, das jetzt stärker aufflammte, erfüllte den Raum.
    Der Alte ging hinaus, ohne etwas zu sagen, und Carl setzte sich behutsam auf das Sofa. Die Dämmerung brach an, und es war die Zeit, in der man sich entscheiden muß, ob man Licht macht oder lieber im Dunkeln sitzen bleibt. Carl gab der Dunkelheit den Vorzug.
    Als der Alte wiederkam, hatte er eine Flasche seines Selbstgebrannten illegalen Apfelbranntweins in der Hand, eine Art Calvados, sowie zwei Gläser. Da begriff Carl, daß der Alte es genau wissen wollte und daß es eine ziemlich lange Nacht werden würde.
    »Ich hatte mir gedacht, wir gehen zum Strand hinunter«, sagte der Alte unschuldig, als er Carl ein gefülltes Glas hinschob und sich selbst einschenkte. »Aber«, fuhr er fort, nachdem er sich bedient hatte und sein Glas in Richtung Carl hob, der ihm nicht mehr in die Augen sehen konnte, »mir ist plötzlich aufgegangen, daß wir eine lange Nacht vor uns haben. Skål. Also. Was ist passiert?«
    »Die PLO und ich haben die Geiseln befreit und sie zu den Diplomaten nach Beirut geschickt, in das Hotel Summerland, oder wie es heißt. Die Geiseln haben nie mitbekommen, was geschah, da wir Waffen mit Schalldämpfern verwendeten. Die Diplomaten haben übrigens auch keine Ahnung, wie ich aus diesen Zeitungsmeldungen ersehe«, erwiderte Carl in einem Atemzug. Damit war alles gesagt, und die Pforten der Hölle waren erneut weit geöffnet. Und er hatte geglaubt, es sei ihm gelungen, sie zu schließen.
    Der Alte schwieg eine Weile und drehte sein Cognacglas in der Hand.
    »Die Geiseln haben also nichts gemerkt?« fragte der Alte mit einem Seufzer, der ahnen ließ, daß ihm nichts anderes übrigblieb, als zu fragen.
    »Nein, sie haben nichts gemerkt«, erwiderte Carl und trank einen etwas zu großen Schluck des Gebräus, das ihm fast im Hals steckenblieb.
    »Wie viele Entführer waren es?« fuhr der Alte unerbittlich fort.
    »Sechs.«
    »Irgendwelche Überlebenden?«
    »Nein.«
    »Du selbst?«
    »Drei von ihnen. Ich ging als erster ins Haus, da es sozusagen in die Verantwortung Schwedens fiel.«
    »Unangenehm?«
    »Ja. Sehr. Nicht in dem Augenblick, aber später.«
    »Etwas Besonderes?«
    »Ja, einer von ihnen war ein Junge von sechzehn oder siebzehn Jahren. Er wurde hinterher hingerichtet, nachdem die Schweden schon abtransportiert worden waren.«
    »Du selbst?«
    »Nein, zum Teufel, das war die PLO. Ich habe nur beim Eindringen ins Haus geschossen.«
    »Wie viele hast du denn getötet?«
    »Drei. Hab ich doch schon gesagt.«
    »Ja, ja. Aber ich meine, das geschah also beim Eindringen?«
    »Ja.«
    »Aber das andere fällt ja nicht in deine Verantwortung.«
    »Das hat deren Offizier auch gesagt.«
    »Aber du teilst nicht diese Meinung?«
    »Natürlich nicht.«
    »Skål! Wie ich schon befürchtet habe, wird es wohl eine lange Nacht«, sagte der Alte und seufzte erneut.
    Anschließend begann der Alte zu erzählen. Sie saßen schon bald im Dunkeln, und keiner der beiden wagte, Licht zu machen, weil sie schon die Grenze überschritten hatten, an der Licht in den Augen schmerzt und vielleicht auch an anderer Stelle.
    Der Alte nahm Anlauf und begann Ende der vierziger Jahre. Irgendwo in Italien, an einer Stelle mit hohem Schilf, hatte er zum ersten Mal eine Waffe in der Absicht gehalten, einen anderen Menschen wirklich zu töten. Es war ein so vollkommen unwirkliches Gefühl gewesen, vielleicht deshalb, weil die Sonne schien und es hellichter Tag war, und weil die Insekten mehr störten als die fragwürdige Moral des Vorhabens.
    Es hatte jedoch keinen anderen Ausweg gegeben. Anderenfalls wäre ein großer Teil eines westlichen, ja teilweise sogar schwedischen Agentennetzes im Osten aufgeflogen. Entweder dieser flüchtige Mann draußen im Schilf oder zehn Menschen auf der anderen Seite. Hinterher, als sich die Jäger um die erlegte Beute versammelten wie bei einer gewöhnlichen Jagd, hatten sich alle psychologisch vor dem Anblick geschützt, den sie vor sich hatten, indem sie im Jägerjargon zu sprechen begannen.
    »Wie sehr man sich auch bemüht«, sagte der Alte, »sachlich über so etwas zu sprechen, kommt man doch nie um die Erkenntnis herum, daß Verstand und

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