Feind des Feindes
oder zumindest nur ausgewählte Frauen, die sich nicht würgen ließen, zumindest nicht von einem Kerl wie ihm?
Nein, es hatte keinen Sinn zu spekulieren. Sie hatten es schließlich getan. Sie hatten ihn im operativen, strategischanalytischen Dienst eingesetzt, hatten ihn in ihrem geheimen Krieg gegen Schweden eingesetzt. Punkt.
Am nächsten Morgen begann Carl nach Plan. Er zog leichte Trainingskleidung an und machte auf seinem pakistanischen Teppich im Wohnzimmer ein paar Lockerungsübungen. Dann joggte er ums Haus herum, vorbei an den Tennisplätzen und dem Parkplatz sowie weiter an dem Wachposten vorbei, der sich jetzt wohl die Zeit notierte.
Carl lief mit etwas mehr als halber Fahrt die Mosfilmowskaja entlang, versuchte aber, einen gleichmäßigen Rhythmus zu finden, damit nicht jeder gleich sehen konnte, daß er nur zum Schein so langsam lief. Er sah keinen Grund, ihnen seine wahre körperliche Leistungsfähigkeit zu verraten. Mit dem Training wollte er sich schon mal auf die Tage vorbereiten, an denen er mit einem Kater im Kopf laufen müßte. Eine unangenehme Vorstellung. Verkatert hatte er noch nie trainiert, und in seinem ganzen Leben hatte er diesen unangenehmen Zustand überhaupt nur wenige Male erlebt. Und jetzt sollte er sich das auch noch zur Gewohnheit machen. Er folgte der breiten langen Straße, auf der fast keine Fußgänger zu sehen waren, bis er nach etwa zwanzig Minuten umkehrte; bei der mäßigen Geschwindigkeit mußten es etwa sechs Kilometer geworden sein.
Bei zwei großen Kastanien weit hinter dem Seiteneingang von Mosfilm hatte er von nun an seine Wendemarke bei einer Zeit von zwanzig Minuten, die nach und nach schlechter werden würde.
Doch jetzt, als er vermeintlich noch im allerbesten körperlichen Zustand war, bevor Grübeleien, Schwermut und übertriebener Alkoholkonsum anfangen sollten, konnte er es sich leisten, die Geschwindigkeit etwas zu steigern, so daß er für den Rückweg nur achtzehn Minuten brauchte.
Trotz der frühen Stunde hatte die Temperatur wohl schon fünfundzwanzig Grad im Schatten erreicht, und er schwitzte heftig, als er sich der Botschaft mit der schrecklichen schwarzen Stahlkonstruktion und den drei Kronen näherte. Wieder empfand er Ekel und Widerwillen bei dem Gedanken, diese Strecke mit betrunkenem Kopf zurücklegen zu müssen. Überdies würde er wahrscheinlich damit anfangen müssen, Wodka zu trinken, ein Getränk, das er bislang kaum je angerührt hatte und das er eher als eine Art chemisches Präparat oder Betäubungsmittel ansah denn als Getränk.
Er duschte und zog einen grauen schwedischen Anzug mit einer hellblauen Krawatte und ein weißes Hemd mit einem diskreten schmalen blauen Streifen am Kragen an. Etwa so stellte er sich einen jüngeren schwedischen Diplomaten vor.
Ein unbekannter Spender hatte einige Lebensmittel in den Kühlschrank gelegt. Carl hatte keinerlei Hunger. Vielleicht hatte es etwas mit der Hitze zu tun, vielleicht aber auch mit dem unbewußten Ekel, den er schon jetzt vor den fremdartigen Gewohnheiten empfand, die er sich zulegen mußte.
Fünf Minuten vor neun durchquerte er den Gebäudekomplex und ging an den Bungalows der höheren Diplomaten herum zum Haupteingang.
Im Empfang saß ein junger Mann hinter Stahl und Panzerglas, der seinen Ausweis zu sehen verlangte und ihn dann in militärischem Tonfall bat zu warten.
Von der Dolmetscherschule, dachte Carl. Das jüngere Sicherheitspersonal kommt wahrscheinlich von der Dolmetscherschule. Die sprechen ein manierliches Russisch und sollen Kriegsgefangene verhören, falls es mal welche gibt.
Er durfte durch die Türschleuse zum Untergeschoß der Botschaft passieren, der offenen Abteilung. Während er auf dem Steinfußboden vor zwei Glasvitrinen mit so etwas wie schwedischer Glaskunst stand, kam sein Vorgesetzter, der für eine unbekannte Zeitspanne zwischen zwei Monaten und vier Jahren sein Chef sein würde, die geschwungene Treppe herunter. Geschmackvoll, das Geländer, kühl und sehr schwedisch, dachte Carl und schaffte es noch zu überlegen, ob dies auch sein Geschmack war, falls er hinter all den Kulissen, in denen er lebte, überhaupt noch einen besaß.
»Willkommen in Moskau, Hamilton«, grüßte der Mann. Er war schon über sechzig und hatte sich eine Brille aufgesetzt, als er am unteren Ende der Treppe ankam und die Hand ausstreckte.
»Guten Morgen, Oberst Nordlander«, grüßte Carl gemessen und korrekt zurück.
»Ach, diese Förmlichkeiten sollten wir ablegen. Die
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