Feind des Feindes
Fahndungs und Ermittlungsarbeiten und einigen Kommandoaufgaben betraut, und zwar in der VD eins, der berüchtigtsten Polizeiwache Stockholms. Sie hatte schon immer Polizistin werden wollen, seit der Grundschule. Möglicherweise hatte ihre religiöse Erziehung sie dazu gebracht, die Polizeiarbeit in erster Linie als eine Art sozialen Hilfseinsatz zu sehen. Sie war immer noch Mitglied im Schwedischen Missionsverband. Das soziale Engagement sah sie immer noch als Hauptbestandteil ihrer Arbeit an. In ihrer Wache ließ sich dieser Standpunkt jedoch nicht leicht verteidigen. Dort mußte sie meist Betrunkene über Nacht einsperren, Straßenschlägereien schlichten, kleine Ganoven und Dealer festnehmen, die oft schneller auf freiem Fuß waren, als es gedauert hatte, sie festzunehmen.
Sie wohnte allein in einem Haus draußen in Spånga an einem kleinen See. Bis auf einen Schäferhund namens Roy lebte sie allein. In der Freizeit malte sie Aquarelle, meist Landschaften. Sie sprach in einer kontrastreichen Mischung aus männlichem Polizeijargon und Sozialarbeitersprache. Möglicherweise fanden sich in ihrer Sprache gelegentlich christlich geprägte Redewendungen, die von einem aufrichtigen Mitgefühl für die Unglückskinder der Gesellschaft erfüllt waren.
Er fragte sie, ob es für sie nicht Konflikte mit sich bringe, eine gläubige Christin zu sein und einen Beruf zu haben, der so durch Gewalt geprägt sei. Würde sie es etwa fertigbringen, in einer Situation, in der es die Dienstvorschrift vorschrieb, einen Ganoven zu erschießen?
Sie erwiderte, das sei ihr noch nie passiert, und wenn es ihr passierte, werde sie vermutlich nicht schießen. Die Frage sei jedoch nicht leicht zu beantworten, und von einem Soldaten sei sie übrigens auch sehr merkwürdig. Werde er denn selbst in einer solchen Lage schießen? Er sah ihr erst in die Augen und wandte dann den Blick zur Wasserfläche zwischen Skeppsbron und Skeppsholmen, die immer noch in der Abendsonne glitzerte, und antwortete zögernd, bisher habe er nie eine Wahl und zudem kaum Anlaß gehabt, darüber nachzudenken. Im stillen überschlug er, wie viele Menschen er getötet und wie viele er davon gekannt hatte.
Als sie ihn anschließend nach seinem Job befragte, beschrieb er in unklaren Wendungen, er beschäftige sich mit Datenprogrammen zur Analyse von Sonardaten, die je nach Salzgehalt in verschiedenen Schichten der Ostsee voneinander abwichen, mit akustischen Effekten in unterschiedlichen Abständen und Wassertiefen und derlei. Seine Auskünfte waren nicht direkt unwahr, jedoch so mathematisch gehalten, daß sie uninteressant wurden. So gelang es ihm, bei der zweiten Flasche Wein das Gespräch auf sie zurückzulenken und persönlicher zu werden. Er fragte sie, warum sie nicht verheiratet sei, und ihre Antwort ergab, daß zwei Beziehungen mit Kollegen aufgrund »unterschiedlicher Einstellungen zum Leben« gescheitert seien. Er hatte den Eindruck, daß es etwas mit ihrer Religion zu tun hatte, aber nach einiger Zeit vermutete er, daß eher Gewalt der Grund gewesen war. Sie war mit einem der zehn bis fünfzehn Polizeibeamten verlobt gewesen, die am häufigsten wegen Körperverletzung im Dienst angezeigt worden waren. Sie sagte, er sei eigentlich ein netter Mensch gewesen, doch aus ihrem Mund hörte sich das Wort ›eigentlich‹ an, als wäre er ein Sadist.
Dann war sie wieder an der Reihe. Nun fragte sie, weshalb er mit seinen vierunddreißig Jahren noch nicht verheiratet sei. Er bemühte sich, so wahrheitsgemäß wie möglich zu schildern, daß er allzu lange hoffnungslos verliebt gewesen war, in eine Frau, die er während seiner Studienzeit in Kalifornien kennengelernt hatte. Diese Frau, Tessie O’Connor, fuhr er fort, habe viele Vorzuge, sei aber in einem anderen Land und in einer völlig anderen Kultur zu Hause und zudem mit einer Ausbildung geschlagen, mit der in Schweden nichts anzufangen sei. Und außerdem sei sie in Santa Barbara mit einem reichen Geschäftsmann verheiratet und habe ein Kind mit ihm.
Sie kicherte, als er die letzten Hindernisse nannte, und es wirkte ansteckend, daß sie die Sache von der humorvollen Seite nahm. Er erzählte mit etwas gezwungener Ausgelassenheit, wie er sich vor einem Jahr blamiert hatte, als er in ihr Haus eingedrungen und vom Ehemann vor die Tür gejagt worden sei, der damit gedroht habe, die Hunde auf ihn zu hetzen. Er erwähnte jedoch mit keinem Wort, daß er dann die Hunde getötet hatte. Ebenso verschwieg er, wie er später vor
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