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Feind des Feindes

Feind des Feindes

Titel: Feind des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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    Seit einem halben Jahr hatte Carl seinen Arbeitsplatz oben im Ostflügel des roten Generalstabsgebäudes am Lidingövägen. Würde man der Arbeitsplatzbeschreibung sein ironisches Urteil zugrunde legen, war er in der Bürokratie des Nachrichtendienstes ein Mittelding zwischen Mädchen für alles und Chefsekretärin. Er war dem Chef des OP fünf unterstellt, was beide als vorübergehend betrachteten, solange die Operationsabteilung noch reorganisiert wurde. Diese war listigerweise in den hinteren Räumen von Hamilton Data System AB untergebracht, einem kleinen Unternehmen der Berater und Buchhaltungsbranche, das nach außen hin Carl gehörte und sich einer verlustbringenden Tätigkeit widmete, die jedoch den Schein wahren half. Entscheidend war jedoch die Tätigkeit in den hinteren Regionen, zu denen nur Militärpersonal Zutritt hatte und wo die großen IBM-Maschinen herrschten.
    Es war vermutlich ein origineller Zug beim schwedischen Nachrichtendienst, eine operative Abteilung mit einer Analyse und Bearbeitungsabteilung zu kombinieren. Doch dafür gab es praktische Gründe. Sowohl Carl wie seine späteren Nachfolger hatten ihre Ausbildung in Kalifornien zum großen Teil in EDV-Technik und dem erhalten, was normalerweise und mit vorsichtiger Wortwahl als »operative Feldtätigkeit« beschrieben wurde. Am Tage ordentliche Beamte, die sich mit Analysen und EDV-Programmen beschäftigen, und in der Nacht Meuchelmörder, wie Sam zu scherzen pflegte.
    Zum Gesamtbild gehörte jedoch auch, daß »operative Feldtätigkeit« eine dem Umfang nach sehr bescheidene Pflanze im schwedischen Garten der Sicherheits und Nachrichtendienste war. Besonders viele Meuchelmorde hatte es bislang nicht gegeben - auf schwedischem Territorium überhaupt nicht -, und für die gewalttätigen Zwischenfälle, an denen in den letzten Jahren »Personal des schwedischen Nachrichtendienstes beteiligt gewesen war«, wie es in der Aktensprache der Militärs hieß, war Carl so gut wie allein verantwortlich gewesen.
    Es fiel Samuel Ulfsson nicht ganz leicht, sich eine persönliche Auffassung von Korvettenkapitän Hamilton zu bilden. Es ließ sich kaum vermeiden, über das Zwiespältige an ihm nachzudenken, über den jungen Mann einerseits, der höflich und wohlerzogen war wie ein Flaggenkadett, der ruhig und systematisch arbeitete und all seine seltsamen EDV-Listen zum rechten Zeitpunkt immer am rechten Ort hatte, und dem außerordentlich speziell ausgebildeten Saboteur und Mörder andererseits, der infolge des Zufalls der Umstände und zweifelsohne auch aus eigenem Antrieb ein professionelles israelisches Mörderkommando erledigt, eine westdeutsche Terroristenorganisation vernichtet, eine Flugzeugentführung verhindert und die Operation Big Red geleitet hatte, was in altmodischen Begriffen den größten militärischen Sieg Schwedens gegen Rußland seit der Schlacht bei Narwa darstellte.
    Was macht der Kerl in solchen Situationen? fragte sich Samuel Ulfsson, während er in einigen Sekunden Carl mit seinem Bericht erwartete. Rannte er in eine Telefonzelle, um sich erst als Supermann zu verkleiden? Lag es nur an dieser fünfjährigen teuflischen Ausbildung in den USA? Wie viele Hamiltons hatten dann wohl die Amerikaner? Von den Russen ganz zu schweigen? Auf die Sekunde pünktlich klopfte es an Samuel Ulfssons Tür, was ihn nicht im mindesten erstaunte.
    »Komm rein, Carl«, rief er und streckte die Hand nach seiner extraleichten Blend Ultima aus, die er auf Drängen seiner Frau rauchte.
    »Guten Morgen, Herr Kapitän«, sagte Carl und nahm Haltung an, ohne dabei allzu demonstrativ oder nachlässig zu wirken.
    »Setz dich, Carl, und außerdem genügt Sam, wenn wir unter vier Augen sprechen. Hast du Vorschläge?«
    »Danke, Sam. Ja, ich habe eine Liste denkbarer Angaben gemacht, die publiziert werden könnten oder müßten, weil sie schon woanders veröffentlicht worden sind, sowie von Angaben, von denen ich meine, wir sollten sie für geheim erklären. Also, unter wir verstehe ich…«
    »Im großen und ganzen also uns beide, abgesehen vom Oberbefehlshaber und dem Marinechef, nicht wahr?«
    »Ja, das ist richtig.«
    Carl griff nach seiner Aktenmappe, der er drei Berichte mit Kopien entnahm, die er auf sechs Haufen verteilte, um dann mit seinem Vortrag zu beginnen. »Da gibt es mehrere kitzlige Probleme. Der Vierteljahresbericht des Oberbefehlshabers über Unterwasser-Operationen fremder Mächte, der kurzerhand zum Halbjahresbericht erklärt wurde, ist

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