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Feind des Feindes

Feind des Feindes

Titel: Feind des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Carl verlor eine Zeitlang das Interesse und versuchte, sich in die Speisekarte zu vertiefen. Sie enthielt mehrere Seiten mit Dingen, deren Namen ihm verdächtig vertraut vorkamen und die er aus Schweden zu kennen glaubte, sowie Gerichte, die ihm sehr russisch erschienen.
    Ein Kellner löste sein Problem jedoch sehr schnell, indem er Kaviar und ein paar kleine Fischgerichte sowie Hähnchen à la Kiew als Hauptgericht vorschlug, als Getränk dazu Krimsekt. Das waren die Dinge, die das Restaurant tatsächlich zu bieten hatte, und nicht das, was auf der Speisekarte stand.
    Carls einziges Problem bestand darin, ob er einen gewöhnlichen Krimsekt oder »Goldchampagner« bestellen sollte. Er hatte keine Ahnung, worin der Unterschied bestand, bestellte aber Goldchampagner, da es teurer und auffälliger klang.
    Als die Bestellung erledigt war und er wieder der Filmmusik zu lauschen begann, hörte er plötzlich ein paar vorsichtig angedeutete Passagen aus Doktor Shiwago.
    Carl dachte nach. Die Melodie hieß Lara’s Theme. Selbst diese Musik mußte in der Sowjetunion verboten oder zumindest verpönt sein. Die Pianistin baute die Passagen jedoch so geschickt in ihr Spiel ein, daß niemand hätte behaupten können, sie hätte sie gespielt.
    Carl lächelte und nickte zum Zeichen des Wiedererkennens, und in dem Augenblick blickte sie hoch und schlug nochmals einige Takte aus dieser Musik an. Als sie sah, daß er sie anlächelte, schlug sie sofort die Augen mit einem Lächeln nieder, das etwas bedeutete, obwohl er nicht hätte sagen können, was. Dann wechselte sie schnell und spielerisch, fast unmerklich, ihr musikalisches Thema.
    Als Carl seinen Krimsekt bekam, war sie bei Beethoven. Es waren Variationen über ein bekanntes Thema.
    Er betrachtete die Sektflasche, die ohne Eiskübel auf dem Tisch stand, als wäre der Kellner der Meinung gewesen, die Flasche würde so schnell leergetrunken werden, daß zum Kühlen ohnehin keine Zeit blieb.
    Die Flasche hatte einen flachen Boden und war aus hellem, durchsichtigem Glas.
    Carl zögerte, bevor er zu trinken begann, als wollte er seinen gewohnten nüchternen Zustand noch einige Augenblicke aufrechterhalten. Wie er sich erinnerte, hatte der letzte russische Zar irgendwann einmal bei der französischen Firma Louis Roederer einen besonderen Champagner bestellt. Er hatte helles Glas statt dunkelgrünem gewünscht sowie Flaschen mit einem flachen Boden. Die Marke gab es immer noch und wurde auf einigen Flughäfen in der Welt für Preise zwischen 30 und 40 Dollar verkauft. Carl hatte ihn nie getrunken und war überhaupt wenig für Champagner oder die verschiedenen Nachahmungen zu haben, die ihn nur an unangenehme Feste erinnerten.
    Carl warf einen Seitenblick auf die Basiliuskathedrale, besann sich dann aber und hob das Glas zu der Pianistin, die sich gerade bereitmachte zu gehen.
    Der Sekt war zu süß. Carl suchte auf dem Etikett nach einer Erklärung und entdeckte das Wort polsuchoje, das entweder halbtrocken oder halbsüß bedeutete.
    Die Frau lächelte ihn an, als sie vorbeiging; ihre Noten lagen noch neben dem Flügel. Sie würde also wiederkommen.
    Der Kellner erschien mit einer großen, reich garnierten Platte mit geräuchertem Lachs, Räucheraal und einigen Fischscheiben, die wie gekochter Schinken aussahen. Das mußte etwas sein, was Carl noch völlig unbekannt war. Mitten auf der Platte thronte eine geeiste Glasschale mit einem ansehnlichen Häufchen Kaviar. Unter den Beilagen entdeckte Carl Schmand, smetana, und Blinis. Es war anscheinend alles so, wie es sein sollte.
    »Was bedeutet polsuchoje? Ich finde den Wein zu sweet… äh, trocken, ich meine dieser Wein njet trocken«, radebrechte er auf russisch, englisch und deutsch.
    »Sie können auch eine Flasche mit trockenem Sekt bekommen, mein Herr«, erwiderte der Kellner auf deutsch.
    »Karascho, dann bringen Sie mir so eine Flasche«, beharrte Carl auf russisch.
    »Wollen Sie, daß ich diese Flasche wieder mitnehme?« fragte der Kellner erstaunt auf deutsch.
    »Richtig. Nehmen Sie sie sofort mit«, erwiderte Carl in seinem vermutlich etwas militärisch klingenden Russisch.
    »Aber wir haben die Flasche schon geöffnet«, betonte der Kellner und machte ein verwirrtes Gesicht.
    »Kein Problem, setzen Sie sie mir auf die Rechnung, aber bringen Sie mir einen trockenen Sekt«, sagte Carl stur, immer noch in einer russischdeutschen Mischung.
    Der Kellner zuckte die Achseln, verzog das Gesicht und trug die Flasche hinaus.
    Von jetzt an

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