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Feind des Feindes

Feind des Feindes

Titel: Feind des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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wirst du dich an mich erinnern, mein Freund, dachte Carl und nippte behutsam an seinem Glas, das der Kellner hatte stehen lassen.
    Dann betrachtete er die Speisen und probierte nachdenklich ein Radieschen, bevor er sich energisch über den Kaviar hermachte. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal Kaviar gegessen hatte, doch es mußte irgendwann in der Kindheit gewesen sein, als sein Vater einmal groß zugeschlagen hatte, um zu zeigen, daß es Menschen gibt, die mit Freuden teurer essen als andere. Carl war seinem Vater in den letzten fünf Jahren vor dessen Tod nicht mehr begegnet. Der Alte hatte ihm »dieses kommunistische Zeug« nie verziehen, ebensowenig den Einfall, die Fahne der USA zu verbrennen, was mit Foto in die Zeitung kam und die Verwandtschaft hatte sehen können.
    Carl erhielt eine neue Flasche Krimsekt, die als ignskoje klassifiziert war, was trocken bedeutet. Dieser Sekt paßte besser zu dem salzig-metallischen Geschmack des Kaviars.
    Was wie gekochter Schinken aussah, enthielt weiche Knorpelstücke und mußte Stör sein, schmeckte aber vorzüglich. Carl aß eine Zeitlang weiter, wobei sich seine Laune zunehmend besserte. Gelegentlich nahm er einen tiefen Schluck und schenkte sich selbst nach. Er mußte schon jetzt darauf trainieren, Wein in einem völlig anderen Tempo als sonst zu trinken.
    Die Pianistin kam zurück, als er gerade bei seinem Hähnchen à la Kiew angelangt war. Er klatschte ihr spontan Beifall, damit er ihr ebenso auffiel wie seinen Nachbarn, aber zu seinem Erstaunen fiel eine Gruppe finnischer Geschäftsleute am Nebentisch in den Applaus ein. Sie verneigte sich leicht, und es sah aus, als errötete sie. Sie trug flache Schuhe ohne Absätze, vermutlich um ihre Körpergröße zu verbergen. Dann setzte sie sich und begann sofort und wie selbstverständlich, ein Stück von Bach zu spielen, das Carl nicht unterbringen konnte. Nach einiger Zeit kam er darauf, daß es wohl für ein anderes Instrument als Klavier geschrieben war, so daß es ihm bekannt und unbekannt zugleich vorkam. Er trank ein volles Glas in einem Zug aus und hatte das Gefühl, daran ersticken zu müssen.
    Plötzlich wechselte die Pianistin zu Ragtime, den sie blitzschnell und technisch fehlerlos spielte, aber dennoch etwas geschlechtslos. Es hörte sich an wie bei einer Opernsängerin, die sich mit schwellendem Gaumensegel an Popmusik versucht. Die dunkelhaarige Pianistin hatte keine Ringe an den Fingern. Sie war recht hübsch, und er stellte sich vor, daß sie eine Ausbildung zur Konzertpianistin durchlief und hier jobbte wie eine Studentin irgendwo im Westen.
    Carl hatte sein Kentucky Fried Chicken à la russe kurz darauf bewältigt. Sensationell an diesem Gericht war zweifellos die Verbindung mit moussierendem Wein.
    Er suchte im Gedächtnis nach einem einigermaßen langen Satz einer einigermaßen bekannten Klaviersonate von Mozart, da die Frau meist Mozart zu spielen schien. Es durfte weder allzu unbekannt noch allzu vulgär sein. Irgendwie würde er sich der Frau schon bedienen können.
    Er rief den deutschsprechenden Kellner zu sich, sprach ihn auf deutsch an und fragte, was man tun müsse, um ein Musikstück zu bestellen, ob das üblich sei und ob man dafür bezahlen müsse.
    Der Kellner erklärte mürrisch, die Pianistin dürfe man nicht bezahlen, aber er selbst könne, selbstverständlich gegen ein angemessenes Trinkgeld, mit einem Zettel zu ihr hinübergehen. Carl schrieb seinen Musikwunsch auf einen Zettel und gab dem Kellner fünf Rubel, was ein beträchtliches Trinkgeld war, falls der offizielle Wechselkurs von einem Rubel für zwei Dollar einigermaßen den Realitäten entsprach.
    Sie spielte gerade etwas Russisches; jedenfalls hörte es sich russisch an. Er tippte auf Rimskij-Korsakow. Da bekam sie den Zettel von dem Kellner, der ihr etwas ins Ohr flüsterte; nur den Zettel und nicht die fünf Rubel. Sie nickte und wandte sich mit einem Lächeln zu Carl um, das ihm etwas übertrieben erschien. Carl lehnte einen Nachtisch dankend ab, bat sicherheitshalber jedoch um ein zusätzliches Sektglas. Doch da räusperte sich der Kellner, beugte sich halb diskret, halb indiskret vor und erklärte mit einem Theaterflüstern, vom Personal dürfe sich niemand zu den Gästen setzen. Carl dachte einen Augenblick nach und fragte dann, wie man es in dem Fall anstelle, die Pianistin zu einem Glas Sekt einzuladen. Der Kellner erbot sich sofort in geschäftigem Ton, das könne er regeln. In etwa einer halben

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