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Feind des Feindes

Feind des Feindes

Titel: Feind des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Wer männliche Begleitung hatte, nahm teurere Getränke zu sich.
    Carl holte tief Luft, drehte um und ging den Korridor entlang zur Herrentoilette. Er entledigte sich mindestens einer der beiden Sektflaschen, wie er meinte, benetzte sich das Gesicht mit kaltem Wasser und legte einen Rubelschein auf den kleinen Teller am Ausgang, auf den andere kleine Münzen gelegt hatten. Das gesamte Personal dieses Hotels würde sich an ihn erinnern.
    Auf dem Rückweg zu der tristen Bar hörte er noch immer die Musik aus dem Speisesaal. Dann ging er entschlossen und mit bemühter Selbstverständlichkeit zu dem Tisch mit dem Sektkühler und setzte sich.
    Es fiel ihm schwer zu glauben, daß eine Frau, die ihr ganzes Erwachsenenleben ihrer musikalischen Ausbildung gewidmet hatte, Prostituierte sein oder für das GRU arbeiten konnte. Andererseits kam es ihm merkwürdig vor, daß sie seine Einladung so ohne weiteres angenommen hatte. Er schob das Problem beiseite, da es vorerst keine Rolle spielte. Seine Rolle hingegen bestand dann, möglichst stark aufzufallen, und das hatte er bis jetzt unleugbar mit einigem Erfolg getan.
    Plötzlich rauschte sie mit langen Schritten und den Notenheften unter dem linken Arm durch die Tür und ging sofort auf seinen Tisch zu, als wüßte sie, wo er saß. Sie streckte ihm schon halbwegs den Arm entgegen, als erwartete sie, daß er ihr die Hand küßte, was er um ein Haar getan hätte.
    Sie stellten sich vor, und er ging um den Tisch herum, um ihr den Stuhl zurechtzurücken. Sie heiße Irma Dserschinskaja, sagte sie.
    Carl erstarrte. Er hatte das Gefühl, einem groben Scherz ausgesetzt zu werden, als hätte man ihn schon durchschaut. Er unterdrückte jedoch seine Neugier, sie wegen ihres Namens zu befragen, und rühmte statt dessen ihre Musik. Er entschuldigte sich, daß er sich so aufgedrängt habe, aber er habe einen unwiderstehlichen Drang empfunden, sie kennenzulernen, und es sei nun mal so, daß man nie eine Antwort erhalte, wenn man nicht frage. Unterdessen drehte er den Kunststoffkorken aus der Flasche und schenkte die beiden Gläser voll. Dann stießen sie an. Auf ihre Musik, schlug er vor. Auf die Musik der ganzen Welt, entgegnete sie.
    »Das Ganze ist sehr einfach, eigentlich eine reine Routineangelegenheit«, sagte Kapitän zur See Gustav Hessulf und schnippte sich ein paar nicht vorhandene Staubkörnchen von den Bügelfalten, als er sich so weit gefaßt hatte, daß er die Unterhaltung wiederaufnehmen konnte. »Ein Kapitän zur See und ein Leutnant werden uns in Empfang nehmen, und dann gibt es ein bißchen Small Talk über die Hitze in Moskau, das Klima in Skandinavien und die Tatsache, daß Leningrad auch so helle Nächte hat wie wir zu Hause in Stockholm. Sie sind der Meinung, sämtliche schwedischen Offiziere kämen aus Stockholm. Und dann wird ein Soldat, nun ja, in unserem Fall ein Mariner hereinkommen, der uns etwas Kaffee bringt, und dann schütteln wir einander die Hände, und damit bist du akkreditiert. Eine reine Formsache.«
    »Sie bieten uns doch hoffentlich keinen Wodka an?« fragte Carl besorgt.
    »O nein. Seit Gorbatschow ist Wodka praktisch verpönt, allerdings soll sich inzwischen die Zucker und Hefeproduktion verdoppelt haben, um der neuen Nachfrage gerecht werden zu können.«
    »Sie steigern die Produktion, wenn die Nachfrage steigt? Haben die hier denn keine Planwirtschaft?«
    »O ja, schon, aber Perestroika, du weißt schon. Nun, so ganz sicher bin ich meiner Sache auch nicht, denn es soll ja in der ganzen Sowjetunion keinen Zucker und keine Hefe mehr geben, aber hier in Moskau merkt man wahrscheinlich am wenigsten davon.«
    Das Gespräch erstarb. Carl fühlte sich verschwitzt. Die zugeknöpfte Uniform war unbequem, und die goldene Achselschnur an seiner linken Schulter gab ihm das Gefühl, einer Operettenkulisse entstiegen zu sein. Der Volvo war eng und unbequem und hatte keine Klimaanlage.
    Es war am Morgen nicht so abscheulich gewesen, wie er vermutet hatte, die lange Joggingrunde zurückzulegen, aber noch war er ja längst kein Alkoholiker.
    Der Kapitän zur See war soeben von einer Dienstreise in den Militärdistrikt von Leningrad zurückgekehrt, und sie hatten sich nur ein paar Minuten unterhalten können, bevor sie losfahren mußten. Carl hatte sich mit der verfluchten Achselschnur helfen lassen, und wie er schon vorher vermutet hatte, war sein Vorgesetzter inmitten seiner hilfsbereiten Bemühungen plötzlich erstarrt, als sein Blick auf die Ordensspangen an Carls

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