Feind des Feindes
du offensichtlich kannst, da du Spion bist, werden sie also über mich herfallen. Du kommst davon, weil du als Diplomat giltst, aber was geschieht mit mir?«
»So funktioniert es nicht, Irma. Wenn ich tatsächlich ein Spion wäre und jetzt erführe, daß die gegnerische Mannschaft ein Unternehmen begonnen hat, um mich zu überwachen, wäre ich natürlich sofort zu meinen Vorgesetzten gegangen und hätte es gemeldet. Anschließend hätte ich wohl kaum in Moskau bleiben können. Ich hätte mich für deinen Hinweis bedankt und wäre nach Hause gefahren. Dich hätte ich im Stich gelassen. Anschließend hätten sie von dir eine Erklärung verlangt; sie hätten nämlich wissen wollen, weshalb du mir alles von deinem Auftrag erzählt hast. Man hätte dir die Schuld am Mißlingen der Operation gegeben. Wenn ich tatsächlich ein Spion wäre, hättest du mich mit etwas, was sie als puren Unverstand gewertet hätten, soeben gerettet.«
»Es geht doch nicht nur um mich, sondern um meine ganze Familie.«
»Das weiß ich doch, Irma. Glaubst du etwa, ich wüßte das nicht? Aber da ich nun mal kein Spion bin, brauche ich nicht zu fliehen, und wir brauchen uns auch nicht so zu benehmen, als hätten wir ein schlechtes Gewissen. Ich brauche dir jetzt nur einiges von mir zu erzählen, was ich dir eigentlich nie habe erzählen wollen. Und das berichtest du anschließend denen, und damit sind wir das Problem endlich los.«
»Wenn das, was du mir erzählst, der Wahrheit entspricht.«
»Genau. Wenn ich dich anlüge, werden sie über dich herfallen, aber auch über mich. Folglich werde ich dich nicht anlügen, folglich werden wir wie zuvor miteinander umgehen, allerdings mit ein paar neuen Gesprächsthemen, die ich ursprünglich habe vermeiden wollen.«
»Willst du mir davon erzählen, was du als Spion getan hast?«
»Ja, eine ganze Menge sogar, aber nicht alles. Es würde unglaubhaft klingen, wenn ich dir alles erzählte. Ich werde dich jedoch so weit ins Bild setzen, daß du mich vielleicht besser verstehst, damit du siehst, was das für eine Welt ist, der ich letztlich den Rücken gekehrt habe.«
»Weil du sie nicht mehr ertragen hast?«
»Ja, unter anderem deswegen, aber das ist nicht der einzige Grund. Einige Politiker wollten mich loswerden, weil ich zuviel über ihre Lügen wußte. Unsere Welt unterscheidet sich nicht so sehr von eurer Welt hier in der Sowjetunion, wie ihr manchmal zu glauben scheint.«
»Wenn sie mich schließlich aus ihren Klauen lassen, wenn ich ihnen geholfen habe, ohne zu lügen, werde ich dann meine Ausreisegenehmigung bekommen?«
Sie biß sich auf die Lippe und sah zu Boden, als schämte sie sich, eine solche Frage zu stellen, als zeigte sie sich allzu offenkundig selbstsüchtig.
Sie waren ans Ende des Parks gekommen und befanden sich in der Nähe des Leninstadions. Er hatte vergessen, wie die Brücke hieß, aber wenn man sie überquerte und am Frunse-Kai vorbeiging, würde in etwa zwanzig Minuten die nächste U- Bahnstation namens Sportiwnaja auftauchen. Er überlegte, wie er von hier aus am schnellsten zur Endstation Medwedkowo käme. Endstation Medwedkowo.
»Ich wünsche mir zwei Dinge«, sagte er, als wollte er dem Schweigen ein Ende machen.
»Daß du mich nie kennengelernt hättest und dich jetzt in einer anderen Stadt und in einem anderen Land befändest«, erwiderte sie traurig.
»Nein, ganz und gar nicht. Erstens wünsche ich mir, daß wir öfter ins Theater gehen. Du kannst mir ja alles erklären, was ich nicht verstehe. Dann möchte ich, daß wir zu dir nach Hause fahren und uns fast die ganze Nacht lieben.«
Sie machte ein verblüfftes Gesicht und lachte dann hell auf.
»Damit sie uns belauschen können, meinst du?« fragte sie, nachdem sie plötzlich wieder ernst geworden war.
»Ich glaube nicht, daß sie das tun. Sie werden es vorziehen, daß du es ihnen erzählst. Es macht nicht soviel Spaß, wie die Leute glauben, sich auf Band liebende Paare anzuhören. Man hört so gut wie nie, was sie sagen, sondern nur das, was man nicht hören sollte. Nein, ich will dich öfter lieben. Ich will nicht, daß sie zerstören, was zwischen uns ist. Außerdem sind deine Eltern nicht da, und wir müssen die Gelegenheit nutzen.«
»Du bist ganz schön frech.«
»Das hab ich noch von meiner Zeit als Spion. Ich werde all das hinterher auf deiner Bettkante gestehen.«
»Ohne zu lügen?«
»Ja, natürlich ohne zu lügen. Sonst würde ich ja alles zerstören. Ich meine buchstäblich alles, was ich
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