Feind des Feindes
Mal seit mehreren Monaten eine Waffe in der Hand. Es war ein angenehmes Gefühl, als wäre er wieder ins Leben zurückgekehrt.
»Sieh dir die Maske an. Sieh genau hin«, sagte sie mit starrem Gesicht, als er das Luftgewehr einer Frau überreichte, die hinter ihm in der Schlange stand.
»Ja?« sagte er. »Eine Art Monster. Und?«
»Siehst du denn nicht?«
»Nein. Es ist eine rot bemalte Maske aus Pappe und Blech.«
»Es ist ein Jude. Eine antisemitische Karikatur.«
»Das bildest du dir nur ein. Es ist ein ganz gewöhnliches, nettes, freundliches Monster.«
Er betrachtete die groteske Maske. Krummnasig, boshaft, bärtig. Und da war noch etwas, was man mit einiger Phantasie als Schläfenlocken deuten konnte.
»Du kennst Rußland nicht. Das da ist ein Jude, die beliebteste Zielscheibe, nicht nur auf dem Schießstand, sondern auch anderswo.«
Sie setzten ihren Weg zu dem großen Teich mit den Fontänen fort. Sie erweckte den Eindruck, als hätte sie das Bild des Monsters, in dem man nur mit einer reichlichen Portion paranoider Phantasie einen Juden entdecken konnte, traurig gemacht.
»Die Ausreisegenehmigung. Was meinst du? Ist jetzt nicht alles zerstört?« fragte sie endlich.
Er wartete eine Weile, bevor er antwortete, und blickte in ein paar riesige Baumkronen hoch, deren Spitzen schon die erste herbstliche Verfärbung zeigten. Der Regen hatte aufgehört, und eine vorsichtige Sonne erhellte die frühen Herbstfarben.
»Hör mal«, sagte er schließlich. »Du sollst nur das tun, was sie sagen, und alle ihre Fragen über mich wahrheitsgemäß beantworten. Du darfst nicht lügen. Nur in einem Punkt, bei einer einzigen Sache, die du dir leicht merken kannst, mußt du lügen. Es war nämlich ein Fehler von dir, mir zu erzählen, daß sie dich gezwungen haben, Denunziantin zu werden. Sie haben dir doch sicher strenge Anweisung gegeben, es mir nicht zu verraten?«
»Ja, natürlich.«
»Dann erzähl ihnen, daß du es mir verschwiegen hast. Wenn man schon lügen muß, kommt es darauf an, sich genau einzuprägen, wann man lügt und weshalb. Es kommt also darauf an, sich möglichst wenige Dinge zu merken.«
»So spricht ein Experte.«
»Ja. Ich habe in meinem alten Beruf sehr viel gelogen, jetzt aber nicht. Beantworte alle ihre Fragen über mich, beantworte alles vollkommen aufrichtig. Sie werden deine Angaben nachprüfen, so gut es geht, und werden herausfinden, daß du immer nur die Wahrheit sagst. Irgendwann geht die Operation zu Ende, und dann landet alles im Archiv. Irgendwann werden sie feststellen, daß sie sich die ganze Mühe hätten sparen können.«
»Die Operation?«
»Ja, sie haben eine Operation begonnen. In unseren Kreisen heißt das so. Ein Offizier hat den Auftrag erhalten und hat von einem seiner Vorgesetzten bestimmte Befugnisse und Mitarbeiter erhalten. Jetzt muß er das Problem lösen und bestimmte Fragen beantworten. Du bist eins ihrer Hilfsmittel.«
»Welche Fragen?«
»Warum haben die Schweden Hamilton in die UdSSR geschickt? Welche offiziellen Aufträge hat er an der Botschaft? Wie macht er sich bei der Arbeit? Wie denkt er über sein Leben in Moskau? Warum setzt er sich so achtlos über die Sicherheitsbestimmungen seines Landes hinweg? Wieviel erzählt er seiner Damenbekanntschaft? Können wir wirklich mit Sicherheit davon ausgehen, daß er in den offenen Nachrichtendienst übergewechselt ist? Fragen dieser Art. Im Grunde ist es reine Routine.«
»Aber warum setzt man mich für so etwas ein? Wie sind sie ausgerechnet auf mich verfallen?«
»Sie glauben, ich könnte dir viel mehr erzählt haben, als ich tatsächlich getan habe. Die meisten Spione der Geschichte dürften wohl daran gescheitert sein, daß sie in einigen schwachen Augenblicken einer Frau zuviel erzählt haben.«
»Dir ist das offenbar noch nie passiert.«
»Liebe Irma, liebe, liebe Irma. Ich habe dieses Leben hinter mir gelassen. Warum hätte ich dir so ein Theater vorspielen sollen, wo ich doch selbst nichts mehr von diesem alten Leben wissen will? Es war eine sehr böse Zeit, und ich habe sie als etwas betrachtet, was in meinem Leben schon zu Ende war, in Geheimakten begraben. Jetzt muß ich dir eine ganze Menge erzählen, damit sie etwas von dem Material erhalten, an das sie heranwollen. Das ist für uns die einzige Methode, sie uns vom Hals zu schaffen, ich meine, wie du sie dir vom Hals schaffen kannst. Mir können sie nicht schaden. Ich bin Diplomat und tue nichts Ungesetzliches.«
»Wenn du mich anlügst, was
Weitere Kostenlose Bücher