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Feind des Feindes

Feind des Feindes

Titel: Feind des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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ab.
    Er überlegte, ob er sie auf das vorbereiten sollte, was geschehen würde. Er konnte seinen Gegenspielern durch sie sogar ausrichten lassen, daß sie nie begriffen hatte, wie sie ausgenutzt worden war.
    Nein, vielleicht hatten sie nicht vor, sie zuviel wissen zu lassen. Und wenn sie nichts wußte, würde sie den Verhören widerstehen können. Es gab nur eins, was er ihr sagen konnte.
    Die Konversationsmöglichkeiten über die Vorstellung hatten sie schon im Wagen erschöpft, aber es gelang ihm nicht, ein neues Gesprächsthema zu finden. Schließlich war sie es, die das Schweigen inmitten des Lärms der Saxophone brach.
    »Du siehst traurig aus, Carlinko. Einen Rubel für deine Gedanken?« sagte sie. Ihre Frage klang härter, als sie war, da sie recht laut sprechen mußte.
    »Ja, Irma«, sagte er und sah sich um, sozusagen als wollte er zunächst mit dem Blick antworten. Es roch stark nach russischem Tabak, nach Parfüm und Schweiß, und die Frauen, die an den Nebentischen saßen, sahen aus wie Prostituierte.
    »Lokale wie dieses sind ja nicht so romantisch, wie man es sich wünschen möchte.«
    »Nein. Aber immer noch einen Rubel für deine Gedanken.«
    »Du darfst sie nie belügen. Was sie auch fragen, du darfst ihnen keine Lügen auftischen.«
    »Ja, das hast du schon mal gesagt.«
    »Aber es ist wichtig, Irma. Niemals lügen.«
    Das war das schlechteste denkbare Gesprächsthema, und sie antwortete nicht. Aber dies war nun das Letzte, was er zu ihr gesagt hatte. Sie würden sie danach fragen, und es konnte sehr wohl als eine Art Gruß gelten: Irma hat nie etwas gewußt. Ihr habt sie nicht allein ausgenutzt. Ich habe es auch getan. Analysiert die Lage, Genossen, und ihr werdet entdecken, daß das die einzig vernünftige Erklärung ist. Er verabschiedete sich vor dem Wagen von ihr und erklärte, er habe etwas Kopfschmerzen und wolle einen Spaziergang machen. Dann küßte er sie schnell und leichthin auf beide Wangen und schloß die Wagentür, als sie auf dem Fahrersitz saß. Er wollte dem schadhaften Schloß nicht durch lautes Zuknallen den Garaus machen. Dann blieb er vollkommen still stehen und sah ihr rotes Rücklicht in dem spärlichen Verkehr verschwinden.
    Er schlenderte über den Roten Platz und ging quer über dessen Mittelpunkt wie eine perfekte Zielscheibe in der regnerischen und windigen Einsamkeit. Es kam ihm fast wie ein Selbstmordversuch vor, aber er spürte trotzdem keinen erhöhten Puls. Es war, als ginge ihn jetzt nichts mehr etwas an, als wäre er innerlich leer.
    Als er die ganze gewaltige und menschenleere Kopfsteinpflasterfläche überquert hatte und den »Platz zum Gedenken an das fünfzigjährige Jubiläum der Revolution« erreichte, erwartete er, daß das gelbe Wolga-Taxi wie gewohnt auftauchte.
    Es war jedoch kein freies Taxi zu sehen, und so begann er, in Richtung Botschaft zu laufen. Er zog den Mantel enger um sich.
    Sie hatten es also nicht für nötig gehalten, sich Vorausinformationen über seine Bewegungen an diesem Abend zu beschaffen. Sie hatten geglaubt, sie hätten alles unter Kontrolle. Im Moment würde es bei ihren Konferenzen allerdings nicht sehr lustig zugehen. Jetzt mußten Verantwortliche gefunden werden.
    In etwa fünf Minuten würde Irma vor ihrer Wohnung parken. Sie würden in einem oder zwei schwarzen Wolgas auf sie warten. Sie hatte noch fünf Minuten in Freiheit vor sich. Ihre Vernehmer waren wohl etwa wie die Gorillas von DIA und FBI, die Tessie vor ein paar Monaten in Santa Barbara in die Mangel genommen hatten. Sandström war die Ursache für Tessies Verhöre gewesen, aber jetzt hatte er für Irma genau das gleiche zuwege gebracht.
    Schließlich bekam Carl ein Taxi. Der Fahrer wußte nicht einmal, wo die schwedische Botschaft lag. Der Regen war stärker geworden, und die Straßen waren völlig menschenleer.
    Die Wachen vor der Botschaft schienen nicht mit besonderer Aufregung zu reagieren, als der Wagen hinter dem Botschaftsgebäude auf schwedisches Territorium fuhr.
    Es hatte keinen Sinn, die Mitteilung schon jetzt zu senden. Das hatte Zeit bis morgen früh. Es würde das erste sein, was er tat.

4
    Jurij Tschiwartschew machte bei dem ersten schönen Herbstwetter seit zwei Wochen einen langen, einsamen Spaziergang. Er ging am Djurgårdskanal unter den völlig gelben Kastanien entlang, hatte jedoch die Hände auf den Rücken gelegt und blickte zu Boden, er spürte ein ungewöhnlich starkes Bedürfnis nachzudenken.
    Allzu vieles war noch unklar, sowohl bei dem

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