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Feind des Feindes

Feind des Feindes

Titel: Feind des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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nie eine Zeugin am Tatort zurückgelassen. Manchen erschien es vollkommen unglaubhaft, daß er der Gegenseite so etwas wie eine diplomatische Reverenz erwiesen haben sollte. Es war eine elementare Regel, niemals Zeugen eines nassen Jobs am Leben zu lassen. Tatjana könne also durchaus an der Konspiration beteiligt gewesen sein, meinten einige Leute in Moskau.
    Jurij Tschiwartschew zweifelte an dieser Theorie. Denn in dem Fall hätte Hamilton einen selten unglücklichen Zeitpunkt für seine Aktion gewählt, nämlich einen Moment, in dem sich Tatjana Alexejewna sogar zu Hause bei dem Objekt befand.
    Vor allem hätte sie selbst die Folgen erkennen und einen solchen schwer verdaulichen Zufall entschlossen zurückweisen müssen.
    Jurij Tschiwartschew fluchte leise vor sich hin. In Moskau waren sie so sicher gewesen, eine Anwerbungsoperation vorzubereiten, die sich gegen einen allzu unvorsichtigen jungen Kollegen richten würde, daß sie die ständigen Überwachungseinsätze eine Woche vorher eingestellt hatten. Es hatte fast den Anschein, als hätte Hamilton auch das gewußt und mit seiner Operation gewartet, bis es so gut wie risikolos war, mit dem Wagen bis zum Ziel zu fahren.
    Es gab jedoch keinerlei Zusammenhang zwischen der Einheit des fünften Direktorats, welches die Operation gegen Hamilton leitete, und dem Personal des ersten Direktorats, das wissen konnte, wo Sandström wohnte. Und zwei eigene Verräter, die gleichzeitig mit Hamilton zusammenarbeiteten, so etwas war einfach nicht wahrscheinlich.
    Nein, in dieser Hinsicht hatte er einfach Glück gehabt. Und im übrigen war es alles andere als sicher, daß es den Verfolgern gelungen wäre mitzuhalten, als es plötzlich während einer Theatervorstellung losging.
    Er konnte sehr wohl darauf verzichten, die Augenzeugin aus dem Weg zu räumen, weil seine Anweisungen solche Einsätze verboten. Das wäre sehr schwedisch. Oder russisch. Tatjana Alexejewna unverletzt zurückzulassen, das konnte genau das sein, als was er es ihrer Aussage zufolge dargestellt hatte: eine kollegiale Geste.
    Racheaktionen waren ohnehin ausgeschlossen. Es würde kaum jemandem imponieren, wenn es dem GRU gelang, in Moskau einen Diplomaten zu ermorden. Vielmehr bestand dann die Gefahr, daß die ganze Geschichte herauskam und beim diplomatischen Corps allgemeinen Abscheu erregte. Die Beziehungen der Sowjetunion zu Schweden würden einer starken Belastung ausgesetzt, und die anschließende Publizität konnte in jeder Hinsicht verheerend werden.
    Das große Problem war also dies: Wer hatte Hamilton die Adresse des schwedischen Landesverräters gegeben? Jemand hatte es getan. Diese Tatsache war unabweisbar.
    Das Telegramm hatte drei Tage im Außenministerium gelegen, bevor sich dort jemand bequemt hatte, es herüberzuschicken. Samuel Ulfsson fluchte zweimal. Einmal, als die Nachricht kam, und zum zweitenmal, als sie dechiffriert worden war. Der Text war kurz und anscheinend routinemäßig, doch der Inhalt wirkte unerhört dramatisch:
    Bitte um sofortige Abberufung. BPA macht keine weiteren Maßnahmen mehr erforderlich. Neues EDV-System unter Kontrolle.
    Hamilton Folglich war die Aktion gegen »BPA« erfolgt, was bedeutete, daß der Mann, der einmal von einem leitenden Angestellten des Bauunternehmens BPA fotografiert worden war, jetzt erneut aufgenommen worden war. Das war ein glänzender Erfolg.
    Samuel Ulfsson griff zum Telefon, pfiff leise durch die Zähne und wählte die Nummer des Alten. Es läutete sechsmal, bis jemand abnahm.
    »Schönen guten Tag, alter Apfelfarmer. Sollte die Ernte um diese Jahreszeit nicht längst schon eingefahren sein?« sagte er zur Begrüßung.
    »Doch, wieso?« erwiderte der Alte reserviert.
    »Ich dachte, du bist draußen bei deinen Bäumen, da es so lange gedauert hat.«
    »Ganz und gar nicht, aber du hast mich mit heruntergelassenen Hosen erwischt.«
    »Buchstäblich?«
    »Ja, buchstäblich. Einen Augenblick nur.« Der Alte legte den Hörer kurz neben das Telefon, bevor er sich wieder meldete, diesmal vermutlich mit hochgezogenen Hosen. »Merkwürdig, daß man immer abnimmt, weil man glaubt, es sei etwas Wichtiges, und dann ist es nur der Chef.«
    »Ja, aber diesmal ist es trotzdem wichtig. Kannst du übermorgen nach Stockholm kommen?«
    »Ja, wenn es wichtig ist. Vergiß nicht, daß ich Pensionär bin.«
    »Das bist du erst, wenn die Bourgeois einen Nachfolger gefunden haben, der ihnen konservativ genug erscheint, und außerdem hat der Kehrbesen unsere kleine

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