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Feind des Feindes

Feind des Feindes

Titel: Feind des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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dem Weg zur Tür sagte der sowjetische Offizier, der beim GRU sein mußte, etwas, was Carl ebenso verblüffte wie seinen Chef: »Tatjana Alexejewna läßt sie herzlich grüßen und hat mich gebeten, Ihnen ihren respektvollen Dank zu übermitteln.«
    Der Russe wahrte bei diesen Worten eine steinerne Miene. Carl blieb zögernd in der Tür stehen, während er seinen schwedischen Chef vorbeiließ.
    »Ich kann mich nicht erinnern, je einer Tatjana Alexejewna begegnet zu sein«, sagte er zögernd.
    »O doch«, entgegnete der Russe mit unverändert steinernem Gesicht, »aber möglicherweise hat sie sich nur mit Rang und Funktion vorgestellt.«
    »Sie meinen, Erstes Direktorat und Unterleutnant?«
    »Richtig.«
    »Dann freut es mich zu hören, daß Tatjana Alexejewna bei guter Gesundheit ist und mir nichts nachträgt.«
    »Richtig. Das freut uns auch.«
    »Darf ich noch etwas dazu sagen?«
    »Bitte sehr.«
    Carl sah sich um, aber sein Vorgesetzter war schon dabei, sich ein paar Meter weiter von einem jungen Matrosen in den Mantel helfen zu lassen.
    »Irma hat nichts gewußt«, flüsterte Carl schnell.
    »Zu dem Schluß sind wir auch schon gekommen«, erwiderte der sowjetische Kapitän zur See in dem gleichen flüsternden Tonfall, jedoch mit weiterhin steinernem Gesicht. Dann zeigte er mit einer einladenden Geste auf den jungen Matrosen, der Carls Uniformmantel hielt.
    »Was zum Teufel sollte das denn bedeuten!« brüllte Kapitän zur See Hessulf, sobald sie in ihrem Volvo losgefahren waren.
    Carl antwortete zunächst nicht, da er vollauf damit beschäftigt war, sich selbst einen Vers auf das zu machen, was er gehört hatte. Inzwischen schien die Klimaanlage des Wagens in Ordnung gebracht worden zu sein.
    »Was zum Teufel haben sie damit gemeint, daß du uns verläßt? Ich hatte fast den Eindruck, als ob sie dich nach Hause fahren wollten?«
    »Ich verstehe das selbst nicht. Ich werde es vortragen, wenn ich wieder zu Hause bin. Es ist nicht wahrscheinlich, daß ich wiederkomme, aber es ist mir ein Rätsel, woher die Russen das so genau wissen wollten.«
    »Warum kommst du nicht wieder?«
    »Ich glaube, daß man zu Hause einen neuen Job für mich hat. Es kann etwas mit dem Regimewechsel zu tun haben, aber das erfahre ich erst, wenn ich Sam sehe.«
    »Aber woher sollen die das wissen können?«
    »Ja, das ist wirklich beunruhigend.«
    »Und was meinen sie mit technischen Besonderheiten?«
    »Das frage ich mich auch.«
    »Von was für einem Mädchen habt ihr da getuschelt?«
    »Eine Privatsache.«
    »Aha, mein Lieber, du hast die Fahne durch den Rinnstein gezogen?«
    »Ich werde alles Sam berichten, wenn ich wieder zu Hause bin.«
    »Das dürfte am besten sein.«
    »Ja. Das dürfte es wohl.«
    Ganz Rußland war bewölkt, aber als die lettische Küste näherkam, begann die Bewölkung sich aufzulockern.
    Carl sah das Meer. Die Rigaer Bucht. Kurze Zeit später endlos lange Sandstrände und zwei große Inseln. Das mußten Dago und Osel sein. Die Maschine befand sich immer noch über sowjetischem Territorium und würde sich bald in der Position befinden, in der die Russen eine schwedische »Aufklärungs«-Maschine abgeschossen hatten. Das war vor Carls Geburt gewesen. Die Schweden hatten Radar und Funkspionage betrieben, und irgendwann hatten die Russen die Geduld verloren, vermutlich weil sie ahnten oder wußten, daß es darum ging, Informationen für das strategische Bomberkommando der USA zu sammeln.
    Die schwedische Öffentlichkeit hatte nie etwas erfahren, was auch nur einen Anflug von Ähnlichkeit mit der Wahrheit hatte, und die sowjetische Öffentlichkeit ebensowenig.
    Carl versuchte nachzurechnen. Die Sowjetunion beanspruchte auf See eine Zwölf-Meilen-Zone als Grenzgebiet. Noch ein paar Minuten bis zu internationalem Luftraum.
    Sie würden es ohnehin nicht wagen, eine SAS-Maschine anzugreifen, die sich schon auf den Radarschirmen von Stockholm-Arlanda befand.
    Es war nicht einfach, aus dem Gesagten schlau zu werden. Gute Beziehungen der beiden Länder trotz »technischer Besonderheiten«.
    Carl dachte kurz darüber nach, wie sehr Kapitän zur See Hessulf sich angestrengt haben mußte, um eine logische Erklärung für das Gesagte zu finden. Selbstverständlich vollständig vergeblich. Aber Carl konnte nicht einmal darüber lächeln.
    Er hatte das Gefühl, all das schon einmal miterlebt zu haben. Er sah auf Meer und Wolken, und in großer Ferne oder über allem sah er das Gesicht einer Frau wie auf einem doppelt belichteten

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