Feind des Feindes
Bild. Diesmal hieß sie Irma.
Sehr trauriger, dunkler russischer Blick und schwere Augenlider. Unschuldig. Geopfert als technische Besonderheit - nein, es hatte keinen Sinn, sentimental zu werden. Sie war ein Kriegsopfer. Sie hatte sich zufällig zum falschen Zeitpunkt im falschen Gebäude befunden, und der Unterschied war nur der, daß der Bomberpilot diesmal eins der Opfer kannte.
Carl hatte auf das Essen der Fluglinie verzichtet und winkte auch jetzt ab, als ihm ein Gratisdrink angeboten wurde. Er hatte weder etwas gegessen noch getrunken, seit er die Botschaft verlassen hatte, war sich aber nicht sicher, ob es auf unbewußte Furcht vor Vergiftung zurückzuführen war oder ob er ganz einfach nur Ekel empfand und keinen Appetit hatte.
Schwedische Küste, Inseln im Sonnenlicht, dann gelbe und braune spätherbstliche Farben über Uppland, und als er die Landebahn entdeckte, schrumpfte ihm das Blickfeld. Es kam ihm vor, als breitete sich ein schwarzes Feld zum Mittelpunkt hin aus wie bei alten Kurzfilmen. Er spürte plötzlich einen kräftigen Eisengeschmack im Mund, und seine Hände zitterten plötzlich wie in einem heftigen Krampf.
Er war vermutlich kurze Zeit bewußtlos geworden. Fast automatisch fühlte er seinen Puls, als die Maschine auf den Landeplatz zurollte, stellte aber keine erhöhte Frequenz fest. Hingegen spürte er heftige Kopfschmerzen, die sich urplötzlich direkt hinter der Stirn bemerkbar machten.
Samuel Ulfsson hatte nur mit Mühe das wiederholte Rauchen des Alten toleriert, als sie gewartet und gleichzeitig die Zeit genutzt hatten, um die eventuellen Personalentscheidungen und Manöver oder denkbaren Intrigen zu besprechen, die nötig waren, wenn sie ihren Willen durchsetzen wollten.
Auf der sonst leeren Schreibtischplatte hatte Samuel Ulfsson eine noch unentwickelte Filmrolle gelegt, die dem Etikett zufolge einen der gebräuchlichsten Negativ-Farbfilme von Kodak enthalten sollte. Was vermutlich sehr weit von der Wahrheit entfernt war.
Als Carl den Raum betrat, sahen ihn beide gespannt an. Er wirkte müde und etwas abgezehrt, und sein Gesicht schien leicht geschwollen zu sein. In seiner Haltung war etwas, was ihre Herzlichkeit dämpfte, als sie sich begrüßten und hinsetzten.
»Es ist in Moskau also gutgegangen?« begann Samuel Ulfsson in einem Tonfall, mit dem er offenbar eine muntere Stimmung vorzugeben gedachte.
»Der Auftrag ist ausgeführt, ja«, erwiderte Carl kurz und sah auf eine seiner Bügelfalten, die er ein wenig zurechtzog.
»Hier zu Hause haben wir auch ein paar gute Nachrichten. Du kannst Lallerstedts Job übernehmen, und er darf wieder auf den sieben Weltmeeren herumschippern«, fuhr Samuel Ulfsson im gleichen Tonfall fort. Carl holte tief Luft.
»Sandström ist am Dienstag um 21.03 Uhr gestorben. Ich habe das im Auftrag des Alten erledigt. Der Befehl schloß auch die Anweisung ein, dem Chef des OP 5 erst nach Erledigung des Auftrags zu berichten, was hiermit geschieht«, sagte Carl, ohne Luft zu holen.
Samuel Ulfsson lehnte sich langsam in seinem Stuhl zurück. Er sah den Alten fragend an.
»Das entspricht den Tatsachen. Falls nötig, bin ich natürlich bereit, meine Position zur Verfügung zu stellen«, sagte der Alte mit einem Lächeln, das er nur mit Mühe auf ein Mindestmaß beschränken konnte. Als Pensionär, der sich nebenbei etwas dazuverdiente, konnte man ihn schwerlich feuern.
»Gib mir eine dieser Zigarren da!« befahl Samuel Ulfsson. Der Alte schob seinem jetzt schon bald ein halbes Jahr nichtrauchendem Chef seine rotkarierte Zigarrenschachtel und sein Einwegfeuerzeug hinüber.
Samuel Ulfsson zündete eine der schmalen Zigarren an und sog heftig Rauch ein. Seine Hand zitterte leicht, aber sonst schien er sich voll in der Gewalt zu haben.
»Das darf um Himmels willen nie rauskommen«, sagte er, als er den Rauch seines zweiten tiefen Zugs ausblies.
»Das Risiko scheint mir nicht sonderlich groß zu sein«, betonte der Alte trocken.
»Wer weiß davon?« fuhr Samuel Ulfsson zu Carl gewandt fort.
»Du selbst, der Alte, ich und die Russen.«
»Wissen sie, daß du es gewesen bist?«
»Ohne Zweifel. Sie haben mir sogar einen Gruß des Inhalts überbracht, soviel ich verstehe, daß sie deswegen nicht Krach zu schlagen gedenken.«
»Willst du einen Bericht darüber schreiben?«
»Nein. Mit deiner Erlaubnis gedenke ich, nur hier und jetzt einen mündlichen Bericht abzugeben.«
»Gut. Klingt vernünftig. Diese Filmrolle hier? Wir haben sie nicht
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