Feind des Feindes
Etikette es vorschrieb, aber es konnte zumindest nicht falsch sein. Er fühlte sich innerlich vollkommen neutral. Er glaubte, jetzt von nichts überrascht werden zu können.
»Ja, eine schreckliche Geschichte, diese Sache…« begann der OB und räusperte sich.
Carl fragte sich, warum Sam eine Uniform anhatte. Er trug sie nur bei offiziellen Anlässen, bei Zeitungsinterviews und ähnlichem.
»Aber«, fuhr der OB fort und rückte seine Brille zurecht, »immerhin sind wir ans Licht gekommen, ans Ende des Tunnels, könnte man sagen. Erstens, Hamilton, möchte ich mich als Chef der Firma für die Unannehmlichkeiten entschuldigen, die diese Geschichte dir gebracht hat.«
Carl fragte sich, ob er etwas sagen sollte, beschloß aber zu schweigen.
»Und, also…«, fuhr der OB fort und machte den Eindruck, als suchte er in seinen Taschen nach einem Redemanuskript, »ja, also, um es kurz zu machen, ja, die näheren Details wird dir Sam später mitteilen, ich habe mich nach Beratung mit dem Marinechef hier entschlossen, dich zu befördern. Das soll nicht als Versuch unsererseits gewertet werden, irgend etwas zu bemänteln. Was geschehen ist, mußte geschehen. Du sollst die Beförderung aber als Zeichen unserer Wertschätzung deiner besonderen Dienste sehen. Und als Zeichen unseres nach wie vor ungebrochenen Vertrauens.«
Der OB stand plötzlich auf und nahm ein Dokument in die Hand, das vor ihm auf dem Tisch gelegen hatte. Carl erhob sich instinktiv, als er sah, daß auch die beiden anderen Anstalten machten aufzustehen.
»Hier«, sagte der OB und überreichte Carl das Dokument, »ich habe also die Freude, dir hiermit das Patent für unseren bislang jüngsten Fregattenkapitän zu überreichen. Herzlichen Glückwunsch!«
Carl nahm das Dokument in Empfang und hätte um ein Haar salutiert, bis ihm wieder einfiel, daß er der einzige Zivilist war. Er gab dem OB die Hand, danach dem Marinechef und Sam. Vermutlich so, wie die Etikette es vorschrieb, und nachdem ihm alle mit einem festen Handschlag gratuliert hatten, erschienen Wehrpflichtige mit Weißwein.
»Da ist etwas, worum ich dich bitten möchte«, fuhr der OB fort, als jeder seinen Wein hatte. »Skål, übrigens, skål, Fregattenkapitän!«
Carl stieß mit seinen Vorgesetzten der Rangordnung nach an. Die Männer tranken schweigend und sahen sich nach schwedischer Sitte an, bevor sie die Gläser absetzten. Deutscher Wein, Spätlese, vermutlich Rheingau, ziemlich gut, dachte Carl und verscheuchte im selben Moment ein paar deutsche Erinnerungen.
»Ja, hm, also«, fuhr der OB fort, »wenn du deine Dokumente liest, wirst du feststellen, daß wir bis auf weiteres eine Versetzung verfügt haben. Du bist vom kommenden Monat an unser stellvertretender Marineattaché in Moskau.«
Der OB lächelte über den Überraschungseffekt. Carl blieb eine Zeitlang sprachlos, bis ihm eine Entgegnung einfiel.
»Glaubst du, daß die Russen tatsächlich einen solchen Sinn für Humor haben?« fragte er schließlich, worauf die anderen laut auflachten.
»Es geht nicht um Humor. Sie müssen schließlich einsehen, daß dieses Spielchen mit SEAHAWK nicht mehr gilt. Eine passende Codebezeichnung, übrigens, und außerdem geht es um etwas sehr Wichtiges. Die Details wirst du später von Sam bekommen. Es ist wie gesagt eine Sache von großer Dringlichkeit.«
Carl betrachtete den Mann mit der Brille, den höchsten Chef der schwedischen Streitkräfte, ohne entscheiden zu können, ob das alles nur psychologische Kriegführung war - doch dem Gesichtsausdruck der anderen fehlte jede unbewußte Spannung, die er auf jeden Fall bemerkt hätte. Ob in ihm selbst jetzt endgültig der Wahnsinn ausgebrochen war?
Er betrachtete seine Hand, die das Glas mit dem bernsteingelben Inhalt vollkommen sicher hielt, ja, es war bestimmt eine Spätlese. Ihm fiel keine Entgegnung ein.
Plötzlich erhob sich der OB, worauf natürlich auch die anderen Männer im Raum aufstanden. Der Oberbefehlshaber streckte die Hand aus, zwinkerte und gratulierte erneut. Auch der Marinechef wiederholte seine Glückwünsche, worauf Sam Carl diskret ein Zeichen gab, daß es Zeit war zu gehen. Der frisch ernannte Fregattenkapitän und der Kapitän zur See verließen daraufhin mit entsprechenden Ehrenbezeigungen für die ihnen vorgesetzten Männer den Raum.
»Was zum Teufel hat das zu bedeuten?« fragte Carl, sobald sie den Raum verlassen hatten und ihre Wanderung durch die Korridore zum anderen Ende des Gebäudes begonnen hatten, in dem
Weitere Kostenlose Bücher