Feindberührung - Kriminalroman
sich dagegen, aber er konnte nicht anders, als Rührung zu empfinden. Es war eine große Geste, opernhaft, pathetisch. Aber die Erinnerung an diesen Moment konnte vielleicht später einmal den Schmerz des Jungen lindern.
Der Soldat nahm die Hand mit kantigem Schwung an die Seite, machte rechts um und verließ mit den fünf Feldwebeln die Einsegnungshalle, an Grewe vorbei.
Als sich an der Tür ihre Blicke kreuzten, der Hauptmann hatte strahlend blaue Augen, bekam Grewe schlagartig einen trockenen Mund, eine Hitzewelle lief durch seinen Körper.
Vor seinem Blick tanzten Blätter, Zweige peitschten ihm ins Gesicht. Er stürzte in nasses Gras, ein Hund kläffte. Dann spürte er kalten Beton unter seinen nackten Knien und an der Stirn, die Hände waren auf dem Rücken gefesselt.
Und blaue Augen, die ihn kalt anstarrten.
Rohmann.
Wo war dieser Name all die Jahre gewesen?
Der letzte der sechs Soldaten war an Grewe vorbei, die Tür schwang wieder zu, ein kalter Luftzug holte ihn wieder in die Gegenwart.
Er musste raus.
Als Grewe an der frischen kalten Luft war, sah er, dass seine Kollegen in eine offensichtlich heftige Diskussion mit einem Mann im Anzug verwickelt waren.
» Ah, Chef! Gut, dass du da bist.«
Fuchs winkte ihn näher.
Grewe spürte einen heftigen Schweißausbruch kommen, sein Mund war wie eine Wüste nach dem Sandsturm; er versuchte zu schlucken und wollte nur weg, weg hier, irgendwohin, wo er sich fassen, die Erinnerungen packen und wieder einschließen konnte. In das diffuse Dunkel, in dem sie fest geschlafen hatten, seit er Stina vor vielen Jahren einen Blick darauf hatte werfen lassen.
Aber vier Augenpaare waren auf ihn geheftet. Das von Fuchs in freudiger Erwartung eines klärenden Machtwortes, das von Estanza gespannt auf eine Auseinandersetzung, das von Therese ehrlich empört, das des fremden Mannes spöttisch glimmend.
Grewe öffnete im Gehen seinen Mantel, lockerte die Krawatte, legte dann seinen Schal wieder darüber, schloss den Mantel, atmete so ruhig wie möglich.
» Grewe mein Name, Kriminalhauptkommissar. Was gibt’s denn?« Gut, kam ganz unbeteiligt. Der Mann im eleganten Kurzmantel aus Kaschmir zog mit einer affektierten Bewegung den rechten Handschuh aus und gab Grewe die Hand.
» Mein Name ist Uwe von Carst, ich bin der Rechtsbeistand von Herrn Michael Perschel, den Sie vergangenen Freitag festgenommen haben.«
» Ich nehme nicht dauernd Leute fest, Herr von Carst. In der Regel erinnere ich mich sehr gut an jeden.«
» Nun, wie Sie sicher wissen, waren mein Mandant und der Verstorbene gut befreundet.«
Therese lachte kurz und gemein. Grewe musste sich sehr konzentrieren, aber der aufsteigende Ärger half ihm, klarer zu werden.
» Herr von Carst, wollen wir uns das nicht alles sparen, und Sie kommen einfach auf den Punkt?«
Der Anwalt nickte lächelnd.
» Nun, wir sind schon beim Punkt. Sie haben kein Recht, meine Teilnahme an der Trauerfeier zu verhindern. Ganz einfach.«
» Die Trauerfeier ist praktisch zu Ende, Sie hätten pünktlich sein sollen.« Er war schnell, das fand Grewe sehr gut. Es ging aufwärts. Von Carst legte den Kopf schräg und schaute ihn amüsiert an.
» Sie gehen doch am Thema vorbei. Ihre Leute halten mich quasi fest. In einer öffentlichen Anlage. Ich habe mich ausgewiesen, ich verstoße gegen kein Gesetz und auch nicht gegen die Friedhofsordnung, ich bin passend gekleidet, und Sie dürfen mir durchaus zutrauen, mich für meine Verspätung angemessen zu entschuldigen.«
Grewe ging zur Seite.
» Bitte.«
Der Anwalt nickte lächelnd und sprang mit drei Schritten die Stufen hinauf. Die vier Polizisten sahen ihm nach.
» Dem gucken wir aber am Grab genau auf die Finger, was?« Estanza machte entschlossene Miene.
Grewe und Therese schauten sich an. Fuchs guckte in den Himmel. Dann wandte sich Grewe an Estanza.
» Tony. Bei solchen Leuten gibt es nichts zu sehen. Nie. Die riskieren nur was, wenn keiner zuschaut.«
So war es dann auch.
Worum es Uwe von Carst mit diesem Grabbesuch tatsächlich gegangen war, erfuhr die SoKo » Rems« erst am nächsten Tag.
Und danach stellte Grewe sich im Stillen, kurz, aber sehr intensiv vor, Polizist in einer fiesen Diktatur zu sein, in der er auf Bürgerrechte keine Rücksicht zu nehmen brauchte.
18
Am Freitag um Viertel nach neun kam ein Anruf von der Pforte.
» Grewe, hier ist eine Frau Rems für dich. Möchte eine Aussage machen. Soll ich sie hochschicken?«
» N… nein, ich komme runter. Lass sie
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