Feindberührung - Kriminalroman
verquatschen?« Das würde jetzt so ein schlagfertiger Filmbulle fragen und dabei sehr gerissen schauen, worauf Konopke schweißüberströmt zu stottern beginnen würde.
Grewe sagte nur » Nein« und schaute sich hilfesuchend um.
Und tatsächlich, Dr. Lyske war gerade dabei, sich die Plastiküberzieher von den Schuhen zu zupfen, und kam auf Grewe zu.
» Wir melden uns dann, Herr Konopke.« Grewe nickte und ging dem Rechtsmediziner einen Schritt entgegen, wobei er Konopke unabsichtlich ein wenig zur Seite drängte.
» Tag, Herr Grewe.«
» Tag, Herr Doktor Lyske.« Sie gaben sich die Hand. Konopke schaute Lyske entgeistert an. Der Arzt trug einen weißen Kunststoffoverall der Spurensicherung, dessen Knie blutverschmiert waren, seine dichten Locken klebten schweißig am Kopf. Am Fundort war jeder verpflichtet, seinen Overall hochgeschlossen mit aufgesetzter Kapuze zu tragen, nicht um die eigene Kleidung zu schonen, sondern um die Spurenkontamination zu minimieren. Heruntergefallene Fasern, Hautschuppen, Haare der Ermittler konnten Gerd Drossel und seine Leute wochenlang damit beschäftigen, die Spuren der Kollegen durch Gegenproben mühsam von tatsächlich relevanten Spuren zu trennen. Andererseits wurde am Fundort ja gearbeitet. Gerade die Beamten des ersten Angriffs, meist uniformierte Kollegen, die in der Regel gar nicht genau wussten, was da auf sie wartete, mussten recht rücksichtslos die Orte betreten, um feststellen zu können, was eigentlich hinter dem » komischen Geruch « , dem fürchterlichen Geschrei letzte Nacht oder dem langen Schweigen hinter der Tür steckte, das jemanden veranlasst hatte, die Polizei zu rufen. Niemand machte ihnen einen Vorwurf, wenn dabei Spuren vernichtet wurden. Was sollten sie denn tun? Vielleicht war hinter der Tür jemand in Gefahr, brauchte Hilfe. Es war ein ständiges Abwägen zwischen notwendigen Maßnahmen und Vorsicht.
War die Tatortbereitschaft dann zur Spurensicherung eingetroffen, hatte sie die » Tatorthoheit « , wie es im Amtsdeutsch hieß, und man gelangte nur mit ihrer Erlaubnis hinein. Manchmal dauerte es mehrere Tage, bis die Sicherung der unzähligen mikroskopisch kleinen Spuren, die Vermessung und Foto- oder Videodokumentation des Ortes und der Auffindesituation abgeschlossen waren und die Kommissionsmitglieder den Fund- oder Tatort auch betreten konnten. Sogar der Rechtsmediziner fand nur dann sofortigen Zugang, wenn es keine exakten Zeugenaussagen zum Tatzeitpunkt gab. Dann musste er Untersuchungen durchführen, die es mit den Ergebnissen der Sektion ermöglichten, den Todeszeitpunkt halbwegs exakt zu bestimmen. Wenn die Spurensicherung und Rechtsmedizin vor Ort soweit fertig waren mit der Leiche, wurde sie von einem Bestatter in die Rechtsmedizin gebracht. Ärzte und Polizisten setzten später die Arbeit bei der Sektion fort.
Bei einem Todesfall war die Leiche der wichtigste Spurenträger, sie bekam beim » Ausnummern« des Tatorts immer die Eins verpasst. Spuren an und in dem Körper, die Auffindesituation, der allgemeine Zustand der Leiche sowie der Fortgang der Verwesung konnten unzählige wichtige Hinweise über Zeitpunkt und Ablauf der Tat, Tatmotive, die Täterpsyche und deren akuten Zustand zur Tatzeit und sogar den Täter selbst liefern, dass oft ein erbitterter Kampf über die häufig widerstreitenden Bedürfnisse der Spurensicherung und der Rechtsmedizin geführt wurde. Dem Polizisten war die Auffindesituation hochwichtig, er wollte sie genau studieren und exakt dokumentieren, denn sie gestattete oft präzise Rückschlüsse auf den Tathergang oder half dabei, Täterwissen zu erlangen, mit dem man Falschaussagen oder Geschwätz im Laufe der Ermittlungen von relevanten Informationen trennen konnte. Der Arzt wollte die Leiche anfassen und bewegen, um Temperaturen zu messen, die Leichenstarre zu überprüfen und erste Überlegungen über die mögliche Todesursache anzustellen.
Gerd Drossel und Dr. Lyske allerdings kamen blendend miteinander aus. Sie hatten beide die gleiche Begeisterung für ihre Arbeit und waren akribisch, bedächtig und erfahren. Im Laufe der Jahre hatten sie gelernt, die professionellen Bedürfnisse des jeweils anderen zu verstehen, und fanden immer einen guten Kompromiss. Doch während Drossel aus Ungeduld dazu neigte, die Kollegen mit komplexen Sachverhalten und seinen schnellen, präzisen Schlussfolgerungen zu überfordern, hatte Lyske eine angenehm pädagogische Ader. Er ließ außerhalb der offiziellen
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