Feinde der Zeit: Roman (German Edition)
zu mir. »Ich hab gehört, dass du die Mathe-Prüfung nur mit einer Vier abgeschlossen hast. Wenn du nett zu mir bist, gebe ich dir vielleicht ein bisschen Nachhilfe.«
Fast hätte ich angewidert aufgestöhnt; doch ich riss mich zusammen.
»Ich darf nachts nur drei Stunden schlafen. Was denken Sie denn, was ich da noch zu leisten imstande bin?«
Ich schrieb noch eine SMS an Stewart: Hast du mal ein Schlafentzugs-Training gemacht?
Ja, das ist die Hölle.
Agent Carter beugte sich näher zu Holly hin, und ich sah, wie ihr gesamter Körper sich anspannte. Diesmal wurde ich nicht nur wütend, ihre Reaktion beunruhigte mich. Sehr. Agent Collins hatte mich ja schon gewarnt, dass ihr Leben alles andere als ein Zuckerschlecken war, aber Jenni Stewart hatte diesen Carter heute Morgen mit keiner Silbe erwähnt.
Das ist bestimmt das, was sie vor mir verbergen wollte.
Holly tippte eifrig etwas in den Computer und wandte sich dann wieder dem Notizblock zu, der vor ihr lag.
»Ich sag dir mal was, Flynn«, sagte Carter und legte eine Hand auf ihre Schulter. »Du tust mir einen kleinen Gefallen, und ich gebe dir heute Abend frei.«
O nein. Ich glaub’s ja wohl nicht. Fast wäre ich empört hinter dem Regal hervorgesprungen, doch in dem Moment stürmte eine kleine blonde Frau an mir vorbei geradewegs auf den Tisch zu.
Katherine Flynn.
»Mom!«
»Holly, ich hab dich überall gesucht, und angerufen hab ich auch. Deine Zimmernachbarin hat mir irgendwann gesteckt, dass ich dich hier finden könnte.« Katherines Blick wanderte zwischen Carter und Holly hin und her.
»Das ist Patrick«, sagte Holly mechanisch. »Wir besuchen denselben Kurs.«
»Nett, Sie kennenzulernen«, sagte Carter. Dann stand er auf und zwinkerte Holly zu. »Schlaf nicht wieder beim Lernen ein. Sonst denkt der Bibliothekar noch, du hättest kein Zuhause.«
Er verabschiedete sich und ging. Noch bevor ich richtig registrierte, was ich tat, hatte ich mich schon zornentbrannt an seine Fersen geheftet. Als er in eine menschenleere Straße einbog, hätte ich fast laut aufgelacht.
Das ist zu einfach.
»Agent Carter. Lange nicht gesehen!«, rief ich.
Sofort wirbelte er herum und sah mich finster an. »Habt ihr Collins schon erledigt? Und die anderen auch?«
»Nein«, antwortete ich knapp und stürzte mich dann auf ihn. Heute war ich furchtlos, vor allem weil ich noch eine ganz spezielle Waffe bei mir hatte: eine Spritze, die ich gestern vor dem Verhör für den Fall bekommen hatte, dass Collins mich angriff. Ich warf Carter zu Boden und stieß ihm die Nadel ins Fleisch. Sofort verdrehte er die Augen und verlor das Bewusstsein. Ich zerrte ihn an die Seite und warf ein paar Müllsäcke vor ihn, damit man ihn nicht sofort sah. Er würde frühestens in elf oder zwölf Stunden wieder zu sich kommen. Ich schrieb eine SMS an Stewart, damit sie wusste, wo sie ihn finden konnte, und ging zurück in die Bibliothek.
Als ich zu meinem Versteck hinter dem Regal zurückkehrte, tippte Holly wieder eifrig etwas in ihren Laptop, während Katherine ungeduldig wartete. Ich beschloss, mich ein Stück weiter vorzuwagen, damit ich besser sehen konnte.
»Tut mir leid, dass ich so lange nicht mit dir gesprochen habe. Aber ich hab einfach so viel um die Ohren«, sagte Holly.
»Komm mit und lass uns was essen gehen. Du siehst furchtbar aus. Wie viel hast du denn abgenommen?« Katherine setzte sich auf den Stuhl, auf dem Carter gesessen hatte, und wühlte in ihrer Handtasche.
Holly sah wirklich schlecht aus. Sie hatte dunkle Ringe um die Augen und wirkte völlig erschöpft. Normalerweise hatte sie eine gesunde Gesichtsfarbe, aber nun war sie total blass, als hätte sie schon eine ganze Weile keine Sonne mehr gesehen. Als wir zusammen unter der Erde eingeschlossen gewesen waren, hatte ich das nicht so genau sehen können.
»Ich muss hierbleiben und lernen. In meiner letzten Mathe-Prüfung hatte ich nur eine Vier«, sagte Holly mit leicht bebender Stimme.
Das entging Katherine nicht. Sie legte ihre Hände sanft an das Gesicht ihrer Tochter und sah sie prüfend an. »Bitte, Schatz, sag mir, was mit dir los ist. Ist es wegen Adam? Ich glaube, du brauchst jemanden zum Reden. Du machst dich noch krank.«
Holly holte tief Luft und nickte. »In Ordnung, ich werde mit jemandem reden. Mit einem Berater oder Therapeuten. Du hast recht, ich brauche Hilfe.«
Die Agentenausbildung war offenbar auch nützlich, wenn es darum ging, besorgte Mütter zu beruhigen.
Katherine nahm ihre Tochter
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