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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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hat. Zügig verschwindet er vom Gelände in Richtung des Wohngebiets, hinter dem das Schloss Pankow liegt.
    Ihm nach folgen in gemächlicherem Tempo die Blogger und Hipster, ein Schwärm Brühl'scher Arbeitsdrohnen und weiblicher Facettenaugen. Dann Hartmut.
    »Alles perfekt gelaufen«, sagt er. »Wo wart ihr gerade?«
    »Mutteranruf.« »Mhm.«
    »Arbeiten wir noch etwas?«
    Wir schauen zum Gebäude. Morgen ist der dritte Advent. Die Zeit rennt. Im Frühjahr soll's hier losgehen. »Sicher. Was denn sonst?«
    Gefahrenabwehr
     
     
    Ich stehe am Fenster und sehe auf den Platz mit den Bretterbuden hinab, auf dem Hartmut und ich neulich verprügelt wurden. Es ist halb acht Uhr morgens. Die Frauen sind schon los zum Firmengelände, um für die Arbeiter aufzuschließen und den Tagesstart zu koordinieren. Wir wechseln uns mit ihnen dabei ab. Nur der frühe Vogel baut sein Nest bis Frühjahr fertig. Unten zwischen den Buden stehen Männer, man kann es nur sehen, wenn man es weiß. Hier mal eine halbe Schulter, dort ein Fuß, der zwischen den Verschlagen herausragt. Hinter mir im Fernseher quiekt Ai Ai in seiner transparenten Kugel, als Hartmut ihn beim Minigolf über ein Feld mit vielen Löchern spielt, durch die hindurch die Kugel weit in die Tiefe stürzen könnte. Das Äffchen rollt sicher an den Löchern vorbei, knallt aber schließlich mit einem dumpfen Geräusch frontal vor eine Mauer. »Uhf!«, beschwert es sich. Hartmut stellt auf Pause, nimmt sich seinen Kaffeebecher und tritt zu mir ans Fenster. Draußen dämmert es. Der Himmel ist dunkelblau. Nur hier unten, nahe am Boden, wird seine Farbe vom schmutzigen Gelb der Stadt verunreinigt. Hartmut sieht ebenfalls auf den Bretterbudenplatz hinab. Die Tür einer Hütte öffnet sich, zwei Männer gehen hinein.
    »Die Russen haben sich lange nicht gemeldet«, sagt Hartmut.
    Ich deute auf den Küchentisch, wo zwischen Zeitungen und Werbeprospekten immer noch der Drohzettel liegt. »Vielleicht denken sie, sie müssen manche Dinge nicht zweimal sagen.«
    Hartmut kaut auf der Lippe. Zwischen den Hütten sieht man erneut eine Schulter.
    Ich sage: »Vielleicht haben sie Angst vor uns, seit uns dort unten diese Schläger geholfen haben.«
    Hartmut sagt: »Erinnere mich nicht daran.«
    Ich öffne das Fenster. Frische Luft weht herein, Straßengeräusche. Man hat das Gefühl, die Geräusche aus dem Zentrum bis hierher zu hören, die Gespräche der Menschen, die ihre Weihnachtsbuden aufschließen und die Kassen in der Parfüm-Abteilung anwerfen. Das Geplapper der Kinder, die bald Ferien haben und auf dem Schulweg über ihre erhofften Geschenke sprechen. All das wird vom Wind bis hierher getragen und gut vermischt, so dass kein einziges Wort erhalten bleibt, sondern tausend Worte ein einziges, wohliges Geräusch ergeben, das sagt: >Es ist bald Weihnachten/<.
    »Vielleicht lassen sie uns in Ruhe. Vielleicht haben sie aufgegeben.«
    Hartmut stülpt die Unterlippe nach innen, so dass sich ein paar lange Barthaare darunter nach vorne strecken. Er packt sie mit den Zähnen und kaut darauf herum. Kauend sagt er: »Wenn es jetzt ein Klassentreffen von der Grundschule gäbe und ich würde meinen alten Sitznachbar Sven wiedersehen, weißt du, worauf ich ihn ansprechen würde?«
    »Nein.«
    »Dass er noch zwei Matchboxautos von mir hat. Grüner Ford Escort in der Tourenwagenedition und ein oranges Müllfahrzeug der Stadtwerke. Außerdem die Figur Leech von den Masters Of The Universe, du weißt schon, das Saugnapfmonster von Hordaks wilder Horde. Und Ace Riker von M.A.S.K., inklusive dem Slingshot-Fahrzeug und der Boomerang-Maske.«
    »Das weißt du noch?«
    »Weißt du so was nicht mehr? Ganz ehrlich.«
    Ich wackele mit dem Kopf und spiele mit der Hand an der Fensterklinke herum. Ich sage: »Okay, gut. Simon hat von mir noch einen handgemalten Kartenblock von Dungeon Master, der eigentlich mir gehört. Simon ist nach der fünften Klasse auf die Realschule gewechselt. War viel Arbeit der Block, kann sich keiner mehr vorstellen in Zeiten des Automappings. Manuel hat eine schwarze Wasserpistole, Nachbildung der Glock 20. Und Cornelia hat meine gelbe Badehose.«
    Hartmut dreht den Kopf: »Cornelia hat deine gelbe Badehose?«
    Ich nicke.
    »Wie kam es denn dazu? In der fünften Klasse?« Ich schmunzele still.
    Hartmut sieht wieder hinaus. Ein Mann verlässt das Gelände der Bretterbuden. Es gelingt ihm, selbst auf offener Straße wie ein Schatten zu wirken. Wir sehen einen Teil der Jacke, eine

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