Feindesland
dem ersten Fenster ein, da kein Scharfschütze der Welt diesen Platz von außen anvisieren könne und außerdem jeder, der durch die Tür kommt, zuerst von ihm gesehen werde. Wir erklären ihm, dass wir es trotz der Neonazi-Schmierereien für unwahrscheinlich halten, dass in den Pappeln von Pankow überall kleine Scharfschützen hocken, doch das hilft nichts. Veith denkt immer über den Schusswinkel potentieller Scharfschützen nach. Veith hat schon seine Mutter, als sie unangemeldet in seiner Wohnung auftauchte, niedergerungen und erst nach zehn intimen Fragen zu seiner Kindheit, die nur sie beantworten konnte, wieder aus dem Polizeigriff entlassen und ihre Identität bestätigt. Seit zwei Jahren beschränkt sie sich daher auf Anrufe, wenn sie überhaupt mal durchkommt. Veith nimmt nur ab, wenn er das Gespräch aufzeichnen kann, und manchmal sind eben die Bänder alle.
»Das Problem ist: Ihr habt euren Stützpunkt mitten in Feindesland aufgeschlagen.«
»Das letzte Mal haben sie uns gerettet«, murmele ich, und Hartmut schüttelt wortlos den Kopf.
Veith macht eine ausholende Geste, die ganz Pankow meint. »Daher müssen wir die vollen Geschütze auffahren. Alarmanlage, Überwachungskameras, Stacheldraht auf den Mauern, ein Stahltor beim Haupteingang und 24-stündige Bewachung von innen wie außen.«
»Das ist viel«, sagt Hartmut.
»Ja, aber das reicht noch nicht.«
»Nein?«
»Nein. Um ganz sicherzugehen, braucht es noch zweierlei.« Veith hört auf zu reden.
»Ja, was denn?«, fragt Hartmut.
Veith schaut rüber zu Samir und einem Kumpel, die begonnen haben, die Wände zu überstreichen.
»Das kann ich euch höchstens unter zehn Augen sagen.«
Caterina lacht, als sei das ein Scherz gewesen. War es aber nicht.
Hartmut seufzt. »Also gut ... ey, Samir, könnten wir mal kurz unter uns sein, bitte?«
Samir legt die Farbrolle ab und sieht Hartmut an wie jemanden, der immer beteuert, er hätte noch nie Probleme mit dem Stottern seiner Freundin gehabt und dann mit der plappernden Gabi vom Popradio durchbrennt. Er verlässt mit seinem Malergehilfen den Raum und knallt die Tür zu.
Veith fährt fort, als sei das alles ganz natürlich: »Dreierlei. Erstens: geländeweite Kameraüberwachung mit mindestens acht Monitoren. Bewegungsmelder. Alarmanlage. Zweitens: schusssichere Scheiben und Geschütztürme an allen Ecken des Geländes.« Jetzt piepst Caterina nur noch. Laut zu lachen traut sie sich nicht mehr. »Drittens ...«, Veith steht auf, horcht an der Tür und öffnet sie, um sich zu vergewissern, dass Samir nicht davor stehengeblieben ist, »müsst ihr eure Mitarbeiter überprüfen. Alle. Und das genau.«
»Nein«, sagt Hartmut abwinkend, »nein! Irgendwann muss doch mal Schluss sein. Zu was für Menschen soll uns diese Welt denn noch machen? Irgendwann zerbombe ich auf gut Glück einen ganzen Stadtteil und sage, das war präventive Selbstverteidigung.«
Veith sagt: »Was denkt ihr denn, wie die Nazis hier reingekommen sind? Es war nicht einmal die Tür aufgebrochen.«
»Weil sie nicht abgeschlossen war. Es ist doch noch gar nichts hier drin außer ein paar Schreibtischen und Telefonen. Da kann man das mal vergessen.«
»Und du hältst es für undenkbar, dass sich später, wenn hier was drin ist, ein Mitarbeiter mit der Herstellung eines >Zweitschlüssels< ein Zubrot verdient?«
»Was soll ich denn machen? Meinen Mitarbeitern Chilischoten in offene Wunden reiben, bis sie zugeben, dass sie mich irgendwann einmal hintergehen werden?«
»Das könnte Probleme mit dem Arbeitsrecht geben«, sagt Veith. »Eine solide Recherche ihres Hintergrundes würde schon reichen.«
»Ich soll meine Leute ausspionieren? Betreibe ich etwa ein Zugunternehmen? Oder eine Supermarktkette?«
Veith hält die Hände vor die Brust, die Handflächen nach außen: »Hey, ich bin nur hier, um zu helfen. Wenn meine Hilfe nicht gebraucht wird, viel Glück, Gentlemen.«
»Nein«, sage ich, »so ist das nicht gemeint, Veith. Deine Hilfe wird ganz sicher gebraucht.«
»Sieh mal, Veith«, sagt Hartmut, »ich respektiere dich. Ja, ich respektiere dich wirklich. Aber ich hab Probleme mit diesem >Wenn du unter Wölfen überleben willst, musst du selbst zum Wolf werden<-Zeug, okay? Das ist alles.«
»Prüfe immer, mit wem du es zu tun hast«, sagt Veith.
Caterina nickt. »Denkt mal an Berit, in Hohenlohe damals. Die scheinbar hilfsbereite Nachbarin, dieses hinterhältige Stück. Ich bin Pazifistin, das wisst ihr. Ich habe was gegen
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