Feindfahrt
legen lassen. Die Besatzung des Rettungsbootes,
größtenteils Fischer aus Mary's Town, benutzte die Strecke,
wenn sie zum Einsatz gerufen wurde. Sie fuhren mit einer Draisine, die
die Männer von Hand bewegten, oder, sobald der Wind günstig
stand, indem sie ein fach ein Segel setzten.
An diesem Morgen stand der Wind günstig,
also rollten Mur doch und der Admiral mit etwa fünf Knoten
Geschwindigkeit dahin, während sich über ihnen das
Dreieckssegel blähte. Den Toten hatten sie in die Mitte der
Draisine gebettet, neben ihm hielt Rory, der irische Wolfshund, Wache.
Zwei Meilen, dann drei, die Schienen führten allmählich
bergab. Und dann konn ten sie durch ein Loch, das der Wind in den
Regenvorhang riß, ein paar Kilometer weiter in der Nordwestecke
der Insel Mary's Town liegen sehen, eine Ansammlung von Häusern
aus Granit steinen , vier oder fünf
Straßen, die alle zum Hafen hinunter führten. Auf der
Leeseite des Wellenbrechers lagen einige Fi scherboote vertäut.
Murdoch stand, eine Hand am Mast , auf der Draisine und spähte aufs Hafenwasser hinaus.
»Würden Sie sich das mal ansehen, Admiral? Da läuft ein Schiff in den Hafen ein , und ich könnte schwören , daß es die Stars and Stripes als Flagge führt. Anscheinend werde ich lang sam alt.«
Reeve zog sofort sein Teleskop aus der Tasche und richtete es auf das Hafenbecken. »Verdammt , Sie haben tatsächlich recht« , sagte er , als er die Dead End m it Harry Jago auf der Brücke ins Okular bekam. Mit zitternden Fingern steckte er das Fernrohr ein.
»Wissen Sie was , Murdoch?
Vielleicht wird das heute doch noch ein guter Tag für mich.«
Das Kanonenboot legte an der Landungsbrücke an. Auf dem oberen
Teil der Mole saß eine Frau unter einem Regenschirm vor einer
Staffelei und malte. Sie mochte etwa Anfang Vierzig sein und hatte
ruhige , blaue Augen in ihrem kraftvollen , angenehmen
Gesicht. Sie trug ein Kopftuch, einen alten Marineoffiziersmantel mit
Kapitänsstrei fen auf den Schulterstücken und dazu eine lange
Hose. Interessiert stand sie auf, kam mit dem Schirm in der Hand ans
Ende der Mole und blickte lächelnd auf das Boot hinab. »Hal
lo, Amerika! Endlich mal eine Abwechslung!«
Jago stieg rasch über die Reling und die Treppe zur Mole hin auf. »Harry Jago, Ma'am«, stellte er sich vor.
»Jean Sinclair.« Sie gab ihm die
Hand. »Ich bin der Amtmann hier, Lieutenant, wenn ich also was
für Sie tun kann...« »Amtmann?« fragte Jago
verwirrt. »Das, was Sie etwa Magi strat nennen
würden.« Jago grinste. »Ach so, Sie vertreten hier das
Gesetz, oder?«
»Und ich bin außerdem
Leichenbeschauer und Hafenmeister. Unsere Insel ist sehr klein. Wir
müssen uns einrichten; so gut es geht.«
»Ich bringe Depeschen für Konteradmiral Reeve, Ma'am. Ha ben Sie eine Ahnung, wo ich ihn finden kann?«
Sie lachte. »Hier auf den Inseln,
Lieutenant, gibt es ein Sprichwort. „Wenn man vom Teufel spricht,
dann kommt er".« Jago drehte sich rasch um, und ihn traf ein
ziemlicher Schock. Als Admiral Nimitz ihn in Pearl Harbour mit dem Navy
Cross dekorierte, da stand unter anderem auch Konteradmiral Reeve auf
dem Podium, prächtig anzuschauen in der Galauniform mit den drei
Reihen Ordensschnallen. In diesem dunklen , kleinen
Mann mit der schwarzen Augenklappe jedoch, der jetzt in einer uralten
Seemannsjacke und hohen Seestiefeln auf ihn zugeeilt kam, war nicht mal
mehr eine Spur davon zu erkennen. Erst als er zu sprechen begann,
wußte Jago mit Bestimmtheit, wen er vor sich hatte. »Sie
wollen zu mir, Lieutenant?«
»Admiral Reeve?« Jago nahm Haltung an
und grüßte respekt voll. »Ich habe Depeschen für
Sie, Sir. Vom befehlshabenden Offizier der Royal Navy in Mallaig.
Würden Sie bitte mit an Bord kommen?«
»Gehen Sie vor, Lieutenant«,
erwiderte der Admiral. Dann hielt er inne und wandte sich an Jean
Sinclair. »Ich habe übri gens Rory gefunden. Er war bei
Murdoch in der Rettungsstati on.«
Ihre Augen blitzten auf. »Nanu, Carey, ich dachte schon, Sie würden mich ganz übersehen.«
Ernst erwiderte der Admiral: »Ich habe noch etwas anderes auf Traig Mhoire gefunden,
einen Toten. Einen Deutschen von einem U-Boot.« Jean Sinclair
wurde ernst. »Wo ist er jetzt?« »Ich habe ihn bei
Murdoch in der Kirche gelassen.«
»Dann werde ich lieber auch hingehen. Und unterwegs ein paar
Frauen mitnehmen, damit der Junge ordentlich aufgebahrt
wird.«.
»Ich komme nach.«
Jean Sinclair ging, den Schirm schräg gegen den Regen gerich tet, mit energischen
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