Feindfahrt
Schritten davon.
»Eine fabelhafte Frau«, bemerkte Jago. Der Admiral nickte . »Bewundernswert.
Übrigens, falls es Sie interessiert: Die ganze Insel hier ist ihr
Eigentum. Sie hat sie von ihrem Vater geerbt, der so eine Art
Feudalherr war.«
»Und woher der Marinemantel, Sir?« erkundigte sich Jago, als sie die Treppe hinunterstiegen.
»Von ihrem Mann. Einundvierzig mit der Prince of Wales un tergegangen. War auch ein Sinclair , genau wie sie. Vetter zwei
ten Grades, wenn ich mich nicht irre.«
Er lachte. »Ist ein alter Inselbrauch, den Namen in der Familie zu lassen.«
Die Besatzung war an Deck angetreten , und
als der Admiral über die Reling kam, gab Jansen das Pfeifsignal.
Reeve muster te ihn verblüfft und fragte Jago: »Wo kommt
denn der her? Von einem Bananendampfer?«
»Oberbootsmann Jansen, Sir«,
erklärte Jago ein wenig schwach. Reeve ließ den Blick
über Jansen wandern, über die Seemannsjacke, den verfilzten
Bart und die alte Strickmütze. Dann wandte er sich schaudernd ab.
»Danke, ich habe genug gesehen. Übergeben Sie mir jetzt
meine Depeschen.« »Wenn Sie mir bitte folgen würden,
Admiral.«
Jago führte ihn den Niedergang hinab in
seine Kajüte. Er holte einen Aktenkoffer unter der Matratze seiner
Koje hervor, schloß ihn auf und nahm einen braunen Umschlag mit
unver sehrten Siegeln heraus , den er dem
Admiral überreichte. Als Reeve ihn entgegennahm, klopfte es an der
Tür, und Jansen trug ein Tablett herein. »Kaffee,
Sir?«
Reeve unterdrückte den Impuls, den Umschlag
sofort aufzurei ßen, und fragte Jago, während er seine Tasse
nahm: »Na, wie läuft der Krieg?«
Die Antwort kam von Jansen. »Die Totengräber haben Hoch konjunktur, Sir.«
Reeve drehte sich um und starrte ihn fasziniert an. »Haben Sie Oberbootsmann gesagt?«
»Der allerbeste, Sir«, antwortete
Jago tapfer. »Und wo haben Sie ihn aufgetrieben, wenn ich fragen
darf?«
»In Harvard, Sir«, antwortete Jansen höflich und zog sich zu
rück. Reeve sagte verwundert: »Das soll wohl ein Witz sein,
oder?«
»Keineswegs, Admiral.«
»Dann ist es kein Wunder, daß der Krieg Weihnachten nicht schon beendet war.«
Reeve saß auf der Kojenkante, riß den
Umschlag auf und ent nahm ihm zwei Kuverts. Das kleinere öffnete
er zuerst. Es ent hielt ein Foto und einen Brief, den er schnell mit
einem glück lichen Lächeln überflog. Das Foto gab er an
Jago weiter. »Meine Nichte Janet. Sie ist Ärztin am Guy's
Hospital in Lon don. Schon seit neunzehnhundertvierzig. Hat
während der gan zen V-Waffenangriffe gearbeitet.«
Janet hatte ernste, ruhige Augen, hohe
Wangenknochen und einen etwas zu breiten Mund. In ihrem Ausdruck lag
etwas, das Jago irgendwie zutiefst berührte.
Widerwillig gab er das Foto zurück.
»Sehr hübsch, Sir.« »Das ist die Untertreibung
des Jahres.«
Reeve öffnete den zweiten Umschlag und las
interessiert. Nach und nach jedoch wurde sein Blick finster, der Mund
verkniffen. Er faltete den Brief zusammen und steckte ihn in die
Tasche. »Schlechte Nachrichten, Sir?«
»Nun ja, mein Sohn, kommt darauf an, wie
man's betrachtet. Die Mächtigen oben sind der Meinung, daß
sie den Krieg auch ohne mich weiterführen können. Daß
ich, um eine Lieblings formulierung unserer britischen Verbündeten
zu gebrauchen, meine Schuldigkeit getan habe.« Jago öffnete
einen Schrank und holte eine Flasche Scotch mit einem Glas heraus, das
er dem Admiral reichte. »Den meisten Leuten, die ich kenne,
würde das ganz und gar nicht zu Herzen gehen, Sir, im Gegen
teil.« Er goß eine dicke Portion Whisky ins Glas. Reeve
sagte: »Schon wieder ein Verstoß gegen die Vorschriften,
Lieute nant.« Er krauste die Stirn. »Wie ist übrigens
Ihr Name?« »Jago, Sir. Harry Jago.«
Reeve trank einen Schluck Whisky. »Und was
für eine Art Einsatz fahren Sie hier? Der alte Kasten sieht ja
aus, als wäre
er noch vom Krimkrieg übriggeblieben.«
»Nicht ganz, Sir. Zur Verfügung
gestellt von der Royal Navy. Sehen Sie, wir spielen hier nur den
Briefträger. Vermutlich fanden die dort oben, dieser Einsatz sei
nicht mehr wert.« »Und was haben Sie vorher gemacht?«
»Schnellboote, Sir. Squadron Two, im Kanal.«
»Jago?« Reeve überlegte, dann
schien es ihm einzufallen. »Sie haben in der Lyme Bay ein Boot
verloren.« »Ja, so könnte man es nennen , Sir.«
Reeve reichte ihm lächelnd die Hand. »Freut mich . Sie ken
nenzulernen , mein Sohn. Und die Jungens oben? Ist das Ihre
ursprüngliche Besatzung?«
»Das, was davon übrig
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