Feine Familie
einzige Vertrautheit, die sich ihre ansonsten äußerst diskrete Haushälterin herausnahm.
Während Emmelia in ihr Schlafzimmer hinaufging, mußte sie an eine andere ähnlich diskrete, treue Seele denken: an Croxley. Auf ihn konnte sie sich bedingungslos verlassen. Ja, notfalls würde sie sich an Croxley wenden. Guter Croxley. Ihm galten Emmelias letzte Gedanken vor dem Einschlafen. Waiden Yapp hatte fast überhaupt nicht geschlafen. Während Willy seine gestrige Nachtruhe dadurch gestört hatte, daß er seine Frau verprügelte, waren heute sein unerklärliches Ausbleiben und Rosies zunehmende Aufregung darüber daran schuld, daß Yapp nicht einschlafen konnte.
»Es sieht ihm gar nicht ähnlich, zum Abendessen nicht nach Hause zu kommen«, sagte sie, als Yapp zerkratzt und mit aufgerissenen Händen zurückkehrte. »Oh, was haben Sie denn da gemacht?«
»Nichts, gar nichts«, sagte Yapp, der möglichst schnell in sein Zimmer gelangen wollte, um seine pappige Unterhose in einen Koffer zu stopfen, bevor sie in seiner Hosentasche steif wurde. »Von wegen, nichts. Sie haben sich scheußlich geschnitten, das sieht man doch. Und voller Blut sind Sie auch.«
»Nur ein Kratzer. Ich bin auf der Straße ausgerutscht.«
»Aber Ihr Hemd ist auch ganz verschmiert«, sagte Rosie. Yapp betrachtete sein Hemd und merkte erst jetzt, daß er heftiger geblutet haben mußte, als ihm bewußt war. Sein Sakko war ebenfalls voller Blut. Als Mr. Jipson das überfahrene Bündel genauer untersucht hatte, hatte er ziemlich viel Blut abbekommen und dieses, ohne es in der Dunkelheit zu merken, an die Wagentür geschmiert und damit auf Yapp übertragen. »Das kriege ich nie mehr raus, wenn Sie es mir nicht gleich geben«, sagte Rosie. »Milch ist da das beste.« Aber Yapp hatte sich geweigert, sein Hemd auszuziehen. »Das ist nicht so wichtig«, murmelte er. »Es ist sowieso ein altes Hemd. Und schlimmstenfalls gebe ich es an Oxfam.« Trotz seiner Proteste hatte Rosie darauf bestanden, und als Mr. Clebb, der vier Häuser weiter wohnte, seinen Hund zum Pinkeln ausführte, wurde er Zeuge, wie ein ohnehin schon verdächtiger Yapp im Netzunterhemd in der Küche saß und Mrs. Coppett seine Hände in einer Schüssel mit Desinfektionsmittel wusch. Da die Schüssel auf Yapps Knien stand, sah Mr. Clebb nicht genau, was sie da eigentlich wusch, aber er zog seine Schlußfolgerungen.
Rosies Bemühungen um das Hemd – sie goß einen halben Liter Milch auf den Flecken, wusch es gründlich und hängte es zum Trocknen auf – waren von wenig Erfolg gekrönt. Während sich Yapp mit verbundenen Händen und in dem Bewußtsein, daß es nicht Rosies Schuld war, wenn er Tetanus bekam, ins Bett legte, machte ihm der hartnäckige Blutfleck noch immer ziemlich zu schaffen. Er hätte schwören können, daß er sich die Hände nicht am Hemd abgewischt hatte, doch bevor er sich noch mal alles genau ins Gedächtnis rufen konnte, wurde seine Aufmerksamkeit durch Schluchzer aus dem Nebenzimmer abgelenkt. Zunächst nahm er an, Willy sei nach Hause gekommen und würde Rosie wieder vertrimmen, doch als das Geschluchze gar kein Ende nahm, gewann seine mitfühlende Natur die Oberhand. Er kletterte aus dem Bett, mußte dreimal niesen, schüttelte sich, zog dann seine Hose über die Schlafanzughose und ging auf den Gang hinaus. »Alles in Ordnung?« fragte er, wohl wissend, daß diese Frage unter den gegenwärtigen Umständen nicht sonderlich geistreich war. Das Schluchzen hörte auf, und Rosie Coppett öffnete die Schlafzimmertür.
»Es ist wegen Willy«, jammerte sie. »Er ist noch nie so spät nach Hause gekommen. Er hat gesagt, er würde es tun, und jetzt hat er’s getan.«
»Was getan?«
»Er ist mit einer anderen Frau durchgebrannt.«
»Mit einer anderen Frau?« Obwohl Yapp Willy kaum zu Gesicht bekommen hatte, schien ihm das eine recht unwahrscheinliche Erklärung.
»Es ist alles meine Schuld«, fuhr die aufgelöste Witwe fort. »Ich habe nicht richtig auf ihn aufgepaßt.«
»Aber sicher haben Sie das«, sagte Yapp. Doch Rosie ließ sich nicht so leicht trösten und klammerte sich heftig an ihn. Yapp, den dieser plötzliche Sinneswandel nicht zum erstenmal aus der Fassung brachte, versuchte sich von ihr zu befreien.
Aber Rosie ließ sich nicht so leicht abschütteln, und diesmal war es Mrs. Mane von nebenan, die, nachdem sie in ihren Küchengarten geschlichen war, mißbilligend beobachtete, wie Yapp Mrs. Coppett in den Armen hielt. Als es Yapp schließlich gelang,
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