Feist, Raymond - Die Erben von Midkemia 3
gesehen, wie Dinge zerstört wurden«, wandte Kaspar ein.
»Du hast gesehen, wie Dinge transformiert wurden.« Samas zeigte auf den Behälter mit Brennholz.
»Wenn ich ein Stück Holz nehme und es in die Feuerstelle lege, was passiert dann?«
»Es verbrennt.«
»Würdest du sagen, dass es zerstört wird?«
»Ja«, antwortete Kaspar.
»Aber das passiert nicht. Es wird zu Hitze und Licht, zu Rauch und Asche. Wenn ein Mensch stirbt, verwest die Leiche, und wie alles andere in der Natur ist sie Teil eines Zyklus. Wir begraben Leichen, oder wir verbrennen sie, aber es ist ohne Bedeutung, ob der Körper Würmer ernährt oder zu Asche wird, er wird transformiert, nicht zerstört. Der Geist und die Seele leben weiter. Die Seele, wie wir sie kennen, wird gewogen, und wenn sie für würdig befunden wird, kehrt sie auf einem besseren Platz auf dem Rad des Lebens zurück. Wenn sie weniger würdig ist, wird es ein geringerer Platz sein. Aber was ist mit dem Geist?«
Kaspar musste zugeben, dass er nun fasziniert war.
»Was ist mit dem Geist?«
»Der geht zu den Göttern. Was du erfahren hast, was du gelernt hast, ist die Gesamtheit universellen Verstehens – jedes Lebewesen schickt sein Gewissen zu den Göttern zurück. Und sie ihrerseits entwickeln sich dadurch.«
»Ich glaube, ich verstehe.«
»Gut. Irgendwann zwischen der Schöpfung des Universums und den Chaoskriegen ist etwas schrecklich schief gegangen. Wahrscheinlich ist der Namenlose der Schuldige, aber das wissen wir nicht sicher.
Selbst die lebenden Götter wissen es nicht. Aber zu einem kritischen Zeitpunkt, als das Universum sich veränderte, brach im Himmel ein Krieg aus. Die geringeren Götter haben sich gegen die größeren Götter erhoben, und mit ihnen erhoben sich die Drachenlords, um sowohl geringere als auch größere Götter herauszufordern. Die Drachenlords wurden aus diesem Universum ausgestoßen und wandelten bis zum Spaltkrieg in einer fremden Dimension.«
»Tatsächlich?«
»Das war der eigentliche Kern der Sache. Du glaubst doch nicht, dass es nur darum ging, dass die Tsurani eine Welt erobern wollten, die reich an Metallen war?«
»Ich dachte tatsächlich, es hätte mit der Tsurani-Politik auf Kelewan zu tun.«
Samas lächelte und trocknete sich die Hände ab.
»Ich sehe, du bist ein gebildeter Mann. Nein, was immer die Invasoren dachten, der Namenlose selbst stand hinter dem Angriff. Du musst verstehen, dass das Böse von extremem Chaos oder extremer Ordnung profitiert. Das Gute profitiert vom Gleichgewicht zwischen den beiden. Bei totaler Ordnung gibt es kein Wachstum. Bei totalem Chaos sind alle ununterbrochen in Gefahr. Am Ende wirst du entdecken, dass das Böse seinem Wesen nach Wahnsinn ist.«
»Ich bin nicht sicher, was du damit meinst.«
Samas bedachte Kaspar mit einem Blick, wie ihn ein Lehrer einem aufsässigen Kind zuwerfen würde. »Das brauche ich dir doch nicht wirklich zu erklären, oder?«
Kaspar sagte: »Da bin ich nicht so sicher.«
»Hast du je einem Menschen Unrecht getan… nur um ihm Schaden zuzufügen? Oder hattest du immer einen Grund?«
Kaspar antwortete rasch: »Es gab immer einen Grund.«
»Da hast du es«, sagte Samas und setzte sich. Er signalisierte Kaspar, ihm einen Becher Wasser einzugießen. »Du würdest dich selbst nie als >böse< betrachten, ganz gleich, was der andere von dem hielt, was du getan hast. Das liegt in unserem Wesen.
Und das ist das große Geheimnis des Bösen. Es wird von jenen, die die bösen Taten begehen, nie als böse wahrgenommen.«
Kaspar reichte ihm den Becher mit Wasser und setzte sich. »Nun, ich habe Dinge getan, die ich jetzt infrage stelle.«
»Also bist du mit den Jahren weiser geworden.
Aber als du es getan hast, kamen dir deine Entscheidungen vernünftig vor.« Samas hob die Hand, um jedem Widerspruch zuvorzukommen. »Selbst wenn du sie damals schon für fragwürdig hieltest, bin ich sicher, dass du sie als notwendig gerechtfertigt hast –
›Der Zweck heiligt die Mittel‹. Hab ich Recht?«
Kaspar nickte bedauernd.
»Wenn jede Entscheidung unabhängig auf einer moralischen Grundlage gewogen würde – also ohne Rechtfertigungen wie Gerechtigkeit, Rache oder notwendige Grausamkeit –, dann gäbe es viel weniger Böses auf der Welt. Alle Religionen in jedem Tempel haben in der einen oder anderen Form einen Glaubenssatz gemeinsam: >Tu, was du willst, dass man dir tut.<«
Kaspar lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. »Ich glaube, ich
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