Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 4
paar Bänke und Fackelhalter.
»Armbrust?«
»Zu ungenau«, sagte Amafi. »Aber wenn sich keine
Alternative anbietet, vielleicht. Ihr könntet selbstverständlich einen Bogen benutzen. Ich allerdings würde ein
Blasrohr vorziehen.«
»Blasrohr?«
»Für einen vergifteten Pfeil.« Amafi, der sich für den
Plan zu begeistern begann, sah sich um. »Ich würde das
Blasrohr unter meinem Umhang verstecken. Oder in einer warmen Nacht unter dem Hemd oder im Ärmel. Es
brauchte kein langes zu sein, nicht länger als so« – er
hielt die Hände etwa einen Fuß weit auseinander –, »und
der Pfeil würde in einem winzigen Beutel verborgen sein,
aus festem Stoff, damit ich mich nicht steche und mit
meiner eigenen Waffe umbringe. Ich würde mein Ziel
verfolgen, bis es mir seine Absicht deutlich macht – es
setzt sich vielleicht an einen Spieltisch dort, geht nach
oben oder kommt in den Garten. Das Wichtigste ist, sofort bereit zu sein, das Blasrohr herauszunehmen und den
Pfeil innerhalb von Sekunden hineinzustecken und dann
zuzuschlagen und sich zu verbergen, bevor das Ziel zu
Boden fällt.«
»Wie kannst du sicher sein?«
»Es gibt mehrere tödliche Schlangengifte und Pflanzenextrakte, Euer Wohlgeboren, mit denen man nur die
Haut ritzen muss, um einen raschen und sicheren Tod
herbeizuführen. Es ist gefährlich, mit ihnen umzugehen,
aber wenn man sich auskennt …« Er zuckte die Achseln.
»Es wäre nicht meine erste Wahl, aber ich kenne mein
Handwerk. Ich hätte bereits zuvor einen Weg aus diesem
Garten gefunden«, sagte Amafi und zeigte auf die hintere
Mauer. »Ich würde ein Seil an eine der in der Hecke verborgenen Statuen binden und hinunter in den Garten des
Hauses unter diesem klettern, während hier oben die
Frauen anfangen zu kreischen und nach den Wachen rufen – kurz gesagt, ich würde mich im Chaos verbergen.«
»Was würdest du benutzen, wenn Blasrohr und Giftpfeil nicht möglich wären?«
»Ein gut geworfener Dolch könnte genügen, aber das
würde das Risiko, gesehen zu werden, vergrößern.«
»Das denke ich ebenfalls.«
»Ihr wärt überrascht darüber, was Menschen nicht sehen, Euer Wohlgeboren. Sie sehen zu, wie das Opfer umfällt, sehen das Blut, hören die Frauen kreischen und die
Männer fluchen; dann sehen sie sich um, weil sie wissen
wollen, ob sie in Gefahr sind, und sie bemerken nicht,
dass der unauffällige Mann in unauffälliger Kleidung
nicht mehr am Rand der Menge steht. Je mehr sie durcheinander rennen und schreien, desto besser. Nein, es ist
ziemlich einfach, einen Mann umzubringen. Ihn umzubringen und nicht erwischt zu werden, das ist schon
schwieriger.«
»Wenn wir also annehmen, dass der Prinz heute
Abend hier erscheinen würde – wie würdest du ihn töten?«
»Euer Wohlgeboren, ich würde einen solchen Auftrag
niemals annehmen. Reiche Kaufleute und selbst niedere
Adlige umzubringen ist eine Sache – es besteht die
Chance, dass Vergeltung geübt wird, aber sie ist nicht
sonderlich groß. Früher oder später erbt der Sohn den
Besitz des Vaters, und was immer den örtlichen Wachtmeistern dafür bezahlt werden müsste, damit sie den
Mörder jagen, wird als unnötige Ausgabe betrachtet;
immerhin wird es den Verstorbenen nicht zurückbringen,
ganz gleich, wie sehr man ihn liebte und vermisst.«
»Du bist ein zynischer Mistkerl, Amafi. Hat dir das
schon mal jemand gesagt?«
»Mehr als einmal, Euer Wohlgeboren, aber Ihr dürft
nicht vergessen, was mein Handwerk ist.« Er lächelte
und zuckte die Schultern. »Nein, wenn man Mitglieder
einer herrschenden Familie umbringen lassen will,
braucht man Fanatiker. Leute, die bereit sind, ihr Leben
dafür zu geben, dass ein Sohn des Herrscherhauses stirbt.
Ein Berufsattentäter würde einen solchen Auftrag nie
annehmen.«
»Was ist mit den Nachtgreifern?«
Amafi nahm Tal am Ellbogen und führte ihn in die
abgelegenste Ecke des Gartens. »In meinen Kreisen sind
sie legendär. Und wie bei jeder Legende halten sich
Wahrheit und Mythos etwa die Waage.«
»Weiter.«
»Man glaubt, dass sie einmal eine Familie waren, eine
große Familie mit Männern und Frauen, die das Töten
auf ein höheres Niveau brachten – sie machten es zu einer Kunst. Generationen lang übten sie ihre Tätigkeit still
und unauffällig aus, und nur jene, die ihre Fähigkeiten
benötigten, erfuhren von ihnen. Dann, vor hundert Jahren, hat sich etwas verändert: Sie wurden zu einer Sekte,
und ihre Anzahl vervielfältigte sich. Dann wurden sie
von den Soldaten des
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