Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 4
Heirat«,
sagte Caleb, »wenn man so etwas wie Liebe ignoriert.«
Sie warf ihm einen Blick zu, um zu sehen, ob er es
ernst meinte, und stellte wieder einmal fest, dass sie seine
Stimmung nicht deuten konnte. Manchmal war Caleb so
leicht zu durchschauen wie ein Kind. Zu anderen Zeiten
hatte sie keine Ahnung, was er dachte, und zu ihrer Enttäuschung war das auch diesmal so.
Sie trugen den Kessel zu einem der großen Holztische,
die aus einem Gasthaus in der Nähe stammten, und stellten ihn an die Stelle, die ihnen eine der Organisatorinnen
zeigte. Eine andere Frau blickte auf. »Marie, Caleb«, sagte sie und lächelte dünn.
»Tessa«, erwiderte Marie.
Die Frau, die ein rotes Gesicht mit geplatzten Äderchen an den Wangen hatte, als wäre sie eine Trinkerin,
verzog den schmalen Mund zu einem gequälten Lächeln.
»Du hast wieder einen Kessel von deiner netten kleinen
Suppe gebracht«, stellte sie in herablassendem Ton fest.
Tessa war die Frau des Müllers und würde bald Ellies
Schwiegermutter sein. Nun nahm sie Maries Hand, tätschelte sie ein wenig verächtlich und nickte dann. »Das
verstehen wir, meine Liebe.« Ihr Tonfall hätte nicht gönnerhafter sein können.
Calebs Lächeln blieb an Ort und Stelle, aber um seine
Augen war ihm eine gewisse Anspannung anzusehen. Er
sagte: »Das ist nur der Anfang.« Er zeigte auf eine Feuergrube, die auf der anderen Seite des Platzes gegraben
worden war. »Wir haben auch diesen Ochsen mitgebracht, der dort gebraten wird.« Er zwinkerte Marie so
zu, dass Tessa es nicht sehen konnte. »Und den Wagen.«
Er zeigte auf einen Wagen, der gerade auf den Platz rollte. »Er bringt zwei Fässer Zwergenbier aus Dorgin und
sechs Kisten Wein aus Ravensburg.«
Tessa blinzelte wie eine Eule im Laternenlicht. »Tatsächlich?«, fragte sie.
Caleb schwieg und nickte lächelnd.
Die verlegene Müllersfrau murmelte etwas vor sich
hin, zwang sich noch einmal zu einem Lächeln und eilte
davon.
Marie sah Caleb an und fragte: »Warum hast du das
getan?«
Caleb zuckte die Achseln. »Ich weiß doch, wie sehr du
dich beim letzten Banapis-Fest über sie geärgert hast.
Außerdem habe ich letztes Jahr nicht mehr zum Fest beigetragen als zwei Schneehühner und ein paar Kaninchen.«
»Nein, ich meinte, wieso hast du wir gesagt, wenn
doch du derjenige bist, der den Ochsen und den Wagen
gebracht hat?«
Caleb sagte: »Weil ich diese Dinge für dich gebracht
habe.«
Marie schwieg einen Augenblick, dann lächelte sie,
aber in ihren Augen lag keine Heiterkeit. »Ich danke dir
für die Geste, Caleb.«
»Es war mir ein Vergnügen«, sagte er. »Und, soll ich
jetzt Schalen und einen Schöpflöffel holen?«
»Nein«, antwortete Marie in neutralem Ton. »Ich gehe
zum Haus zurück und hole die Sachen. Würdest du stattdessen die Jungen suchen und zusehen, dass sie keinen
Ärger machen? Ich bin ein wenig besorgt.«
Er nickte und machte sich auf den Weg. Immer mehr
Menschen kamen auf den Marktplatz, und Caleb war
gleichzeitig überrascht und amüsiert darüber, wie sehr
sich die kleine Stadt seit seiner Kindheit verändert hatte.
Seine Familie hatte nie in Stardockstedt gewohnt, aber
sie waren öfter hierher gekommen.
Die Beziehungen von Calebs Vater zum Rat der Akademie konnte man bestenfalls als gespannt bezeichnen.
Caleb hatte oft genug gehört, wie Pug sich darüber beschwerte, um die Gründe hinter der Entfremdung vollkommen zu verstehen, aber das waren die Gründe seines
Vaters und nicht die seinen. Magnus, sein älterer Bruder,
war ein Magier wie ihre Eltern, aber Caleb war stets der
Außenseiter in der Familie gewesen – das Kind, das über
keinerlei magische Fähigkeiten verfügte.
Der Rest der Familie betrachtete Stardock durch einen
Nebel politischer Auseinandersetzungen, aber für Caleb
war es einfach ein Ort, an dem er als Kind Spaß gehabt
hatte. In Stardockstedt hatte er Kinder wie sich selbst
gefunden – normale Jungen und Mädchen, die mit normalen Dingen beschäftigt waren wie aufzuwachsen, Liebe, Hass und Vergebung zu lernen, der Arbeit aus dem
Weg zu gehen und Spielgefährten zu finden. All diese
alltäglichen Dinge, die Caleb zuvor nicht gekannt hatte.
Seine ungewöhnliche Erziehung hatte ihm zweifellos
viel genützt. Er hatte einen großen Teil seiner Kindheit in
langweiligen Unterrichtsstunden verbracht, die auf Kinder mit magischen Fähigkeiten zugeschnitten waren. Erst
jetzt erkannte er, dass das durchaus sinnvoll gewesen
war, denn anders als die meisten
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