Feist, Raymond - Die Erben von Midkemia
gerichtet, ungerührt von der Tatsache, dass eine Frau vor ihrer Nase verschwunden war. Sezu, Erster dieses Namens und Herrscher aller Nationen von Tsuranuanni, setzte sich in seinen Sessel und versuchte sich wieder zu fassen. Denn was immer auf sie zukam, bis es eintraf, hatte er ein Kaiserreich zu regieren.
Caleb blickte auf und war sofort erleichtert, seine Mutter zu sehen. »Ich hatte angefangen, mir Sorgen zu machen …« Ihre Miene bewirkte, dass er innehielt.
»Was ist los?«
»Dieses Ungeheuer Varen hat dafür gesorgt, dass ich Gefangene der Dasati war.«
Caleb sagte: »Bist du …?« Er ließ die Frage unvollendet, 57
denn soweit er sehen konnte, war seine Mutter unverletzt und hatte offenbar fliehen können.
»Nur meine Würde wurde verletzt. Schmerz vergeht, wie du weißt.« Sie setzte sich auf den anderen Stuhl, ein aufgerolltes Pergament auf den Knien. »Was gibt es Neues?«
»Rosenvar und Joshua bewachen die Talnoy, und Rosenvar berichtet, eure Experimente mit Nakor hätten zu guten Ergebnissen geführt. Der Kontrollkristall funktioniert so gut wie der Ring und offenbar ohne Nebenwirkungen.« Er fing an, einen Stapel Papiere durchzusehen. »Ich habe seinen Bericht hier irgendwo.«
»Ich lese ihn später.« Sie seufzte. »Ich weiß, es ist sinnlos, nach deinem Vater, deinem Bruder und Nakor zu fragen …«
Caleb nickte. Es hatte eine gewisse Hoffnung bestanden, dass Pug eine Möglichkeit finden würde, seiner Frau und seinem Sohn eine Nachricht zu schicken, aber alle hatten das nur für eine sehr schwache Hoffnung gehalten.
»Und auch kein Wort von Kaspars Feldzug.«
»Die Warnung des … wie nennen sie sich?«
»Der Kreis«, antwortete Caleb.
»Sie sind interessiert an den Bergen der Quor … das war nur ein sehr vager Bericht, oder?«
Caleb griff nach ein paar anderen Pergamenten. »Es hieß lediglich, dass wir sie an der Leeseite der Halbinsel erwarten sollten, vor dem Frühlingsfest.«
»Bis dahin ist es noch eine Woche, also sind sie vielleicht gerade mit ihnen beschäftigt.« Sie sah ihren Sohn an. »Machst du dir Sorgen?«
Der dunkelhaarige Jäger seufzte. »Immer. Besonders, wenn du und Vater mich hierlasst und ich für alles verantwortlich bin.« Er stand auf und ging um den Schreibtisch
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herum. »Du weißt, dass ich nur hier bin, weil ich euer Sohn bin. Es gibt andere im Konklave, die besser geeignet…«
»Nein«, schnitt sie ihm das Wort ab. »Ich weiß, du magst es nicht, und du würdest lieber durch die Wälder ziehen oder auf einen Berg steigen, aber Tatsache ist, dass du dein ganzes Leben darauf vorbereitet wurdest, die Verantwortung zu übernehmen, falls uns anderen etwas zustoßen sollte. Du weißt Dinge, Tausende winziger Einzelheiten, die niemand sonst weiß, nicht einmal Nakor. Du weißt nur nicht, dass du sie weißt.« Sie blickte nachdenklich drein.
»Aber ich denke, wir müssen einen Assistenten für dich finden, einen Magier -
vielleicht dieses junge Mädchen …«
»Lettie?«
»Ja, genau. Sie ist nicht die beste Schülerin, die wir je hatten, aber sie begreift unglaublich schnell, wie Dinge zusammenpassen. Ja, ich werde sie hierherschicken, und du kannst anfangen, sie auszubilden. Bis heute ist mir das nicht klar gewesen, aber wir haben niemanden, der übernehmen wird, wenn dir etwas zustößt.«
»Was soll das alles?«, fragte Caleb. »Du machst dir sonst nicht solche Gedanken um … Notfallpläne.«
Miranda blickte ihren jüngeren Sohn an. Sie konnte eine Spur von Ähnlichkeit mit ihrem Mann um seinen Mund und in der Art erkennen, wie er den Kopf zur Seite neigte, wenn er nachdachte. Ansonsten sah er eher seiner Mutter ähnlich, von der hohen Stirn und dem schmalen Kinn bis zu der Art, wie er sich bewegte, und seiner hochgewachsenen, schlanken Gestalt. Wie viele Eltern wurde sie mitunter ganz plötzlich davon getroffen, wie sehr sie ihre Kinder liebte. »Wenn der Plan dieses verrückten Varen funktioniert hätte, wäre ich wahrscheinlich immer noch an einem Dasati-Tisch festgeschnallt und würde von ihren To
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despriestern untersucht werden, oder ich wäre bereits tot und seziert. Viele unangenehme Dinge wären geschehen, die über mein Unbehagen und mein Hinscheiden hinausgehen, und das Geringste davon wäre gewesen, dass du das einzige Mitglied dieser Familie wärst, das immer noch hier ist.«
»Natürlich, ich verstehe«, sagte Caleb und legte eine Hand auf die Schulter seiner Mutter. »Es gibt noch mehr. Was ist es?«
»Das hier«, sagte sie
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