Feist Raymond E. - Krondor Saga 01
der Akademie,
aber er war sehr klug. Er hatte die Begabung, die
Dinge zu durchschauen. Ich glaube, das war es,
wonach ich wirklich gesucht habe – einen Weg zu
finden, um die Welt besser zu verstehen.«
Gorath schwieg eine Weile. »Ich denke, es wäre
für alle besser, wenn mehr versuchen würden, die
Welt zu verstehen, statt sie zu beherrschen.« Er
blickte in das dämmernde Tageslicht. »Komm, es
ist Zeit.«
Sie hatten die Dunkelheit abgewartet, um
aus dem Bereich der Festung zu verschwinden.
Stundenlang hatten sich dort Moredhel-Krieger
und abtrünnige Menschen – Fußsoldaten wie
Berittene – aufgehalten. Zuerst hatten sie geglaubt, man würde nach ihnen suchen, aber nach
einiger Zeit war ihnen klar geworden, dass es um
mehr gehen musste als nur um die Jagd nach zwei
Flüchtlingen. Sie bereiteten sich auf den Krieg
vor.
Gorath führte Owyn durch eine Reihe schneegefüllter Gräben, über einen Hügel und durch ein
kleines, schmales Tal, das zu der Ebene südlich
der Stadt führte. »Dies ist die Ebene von SarSargoth«, sagte Gorath. »Der Legende nach haben
sich hier die Valheru getroffen, um Rat zu halten.
Die Drachen ruhten hier, während sich ihre Reiter
versammelten.«
Owyn sah ein Meer aus Zelten und in deren
Mitte einen großen Pavillon; eine Standarte erhob
sich davor, ein karmesinrotes Feld, in dem ein weißer Leopard kauerte. »Wie können wir das Lager
umgehen?«
»Gar nicht«, antwortete Gorath und führte den
verblüfften Gefährten mitten zwischen die Zelte.
»Aber selbst wenn wir hier keine Freunde finden,
so doch zumindest auch keine Feinde.«
Mehrere Moredhel warfen Gorath und Owyn
einen Blick zu, als die beiden durch das Lager
gingen. Sie schienen sich nicht sonderlich für sie
zu interessieren, abgesehen davon, dass einer aufstand und davonrannte. Als sie dann den großen
Pavillon erreichten, stand die Besitzerin bereits
wartend am Eingang, um sie zu begrüßen.
»Grüße, Gorath von Ardanien. Waren die Kerker
von Sar-Sargoth nicht nach deinem Geschmack?«
Die Sprecherin bot einen verblüffenden Anblick.
Sie war groß und hatte stattliche Züge; ihre dunkelroten Haare waren am Hinterkopf zusammengebunden und ergossen sich in einer wahren
Kaskade den Rücken hinab. Sie trug Waffen wie
die Männer ihres Stammes, und doch war Owyn
von ihrer überragenden Schönheit, selbst in der
Kleidung einer Kriegerin, überrascht. Fremdartig
und seltsam war sie, deshalb aber kein bisschen
weniger verlockend. Sie trat zur Seite und bedeutete ihnen einzutreten. Dann führte sie sie an einen
Platz in der Nähe eines kleinen Feuers. »Iss und
ruh dich eine Weile aus. Ich bin davon ausgegangen, dass Delekhan dich inzwischen getötet hat.
Deine Flucht wird ihm einige Unannehmlichkeiten
bereiten.«
»Du klingst, als würdest du Gefallen an dieser
Vorstellung finden, Liallan.«
»Ich bin durch den Aufstieg meines Ehemannes
mit aufgestiegen, Gorath«, sagte sie, »aber unsere
Heirat hatte nichts mit Leidenschaft zu tun. Das
Ziel unserer Vermählung war, durch die Verbindung
zweier mächtiger Stämme die Kontrolle über unsere jeweiligen Clans zu behalten und sie daran zu
hindern, gegenseitig ihr Blut zu vergießen … zumindest eine Zeit lang. Nichts weiter.«
»Deshalb also diese Scharade, Liallan? Du
glaubst zwar an Delekhans wahnsinnige Pläne
ebenso wenig wie ich, aber nach außen hin unterstützt du ihn. Du befehligst einen Stamm, der so
mächtig ist wie sein eigener, und dein Einfluss im
Rat kommt fast dem von Narab gleich.«
»Es ist zu lange her, seit du uns verlassen hast,
Gorath. Vieles hat sich in sehr kurzer Zeit geändert.
Narab versammelt gerade in diesem Augenblick
seinen eigenen Clan und bereitet sich darauf vor,
Delekhan entgegenzutreten.« Sie setzte sich neben
Gorath und nahm ein kleines Stück Fleisch aus einem köchelnden Topf neben dem Feuer. Sie platzierte das Stück genau zwischen Goraths Zähnen
– in einer Geste, die für Owyn eindeutig verführerisch war, doch selbst er konnte erkennen, dass
es sich hier mehr um ein Ritual handelte als um
ein Angebot. »Unser neuer Herr ist unzufrieden
mit Narab. Ich schätze, das hat etwas mit deiner
Gefangennahme zu tun.«
Gorath schluckte das Stück Fleisch hinunter,
dann nahm er eine Schüssel und reichte sie Owyn.
Der brach sich von dem Laib Brot, der neben dem
Fleisch lag, ein großes Stück ab, und benutzte es
wie einen Löffel, um den heißen Eintopf zu essen.
»Wieso sollte sich
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