Feist, Raymond E. - Krondor Saga 02
– der Bereich über den Dächern von Krondor –, war jetzt genauso offenes Kriegsgebiet wie die Abwasserkanäle. Die Bürgerschaft von Krondor mochte sich in ihrem Unwissen über den Krieg, der über ihren Köpfen und unter ihren Füßen tobte, glücklich wähnen, aber Limm wusste es besser; er wusste, dass er nicht nur den Männern des Kriechers begegnen konnte, sondern auch mit den Soldaten des Prinzen rechnen musste, oder mit den Mördern, die sich als Nachtgreifer ausgaben. In diesen Tagen war es notwendig, nicht nur jenen nicht zu trauen, die er gar nicht kannte, sondern auch nur bedingt jenen, die er lediglich mit Namen kannte.
Limm blieb stehen und betastete die Wand zu seiner Linken. Er war so weit gegangen, wie er seiner Schätzung nach gehen musste, und bemerkte jetzt voller Zufriedenheit, dass er sich nur einen Fuß entfernt von den Eisensprossen befand, die in die Mauer eingelassen waren. Er kletterte an ihnen hoch. Noch immer so gut wie blind betrat er einen Steinschacht und begriff rasch, dass er den Grund eines Kellers erreicht hatte. Er streckte die Hand aus und griff nach dem Riegel. Als er vorsichtig daran zog, stellte er fest, dass die Tür von der anderen Seite verschlossen worden war.
Er klopfte: zweimal schnell, Pause, wieder zweimal schnell, Pause, einmal. Er wartete, zählte bis zehn und wiederholte das Muster dann in umgekehrter Reihenfolge: einmal, Pause, zweimal schnell, Pause, zweimal schnell. Der Riegel auf der anderen Seite glitt auf.
Die Falltür schwang nach oben, doch der Raum über ihm war ebenso dunkel wie der Abwasserkanal unter ihm. Wer immer dort oben wartete, wollte ungesehen bleiben.
Als Limm sich nach oben hievte, wurde er von starken Armen ergriffen und hochgezogen, und die Falltür wurde rasch wieder geschlossen. »Was hast du da unten gemacht?«, flüsterte eine weibliche Stimme.
Limm ließ sich auf den Steinboden sinken. Die Müdigkeit überschwemmte ihn jetzt geradezu. »Ich bin um mein Leben gerannt«, sagte er leise. Als er etwas Atem geschöpft hatte, fuhr er fort. »Gestern Nacht habe ich gesehen, wie Jackie umgebracht worden ist. Es waren Schläger des Kriechers.« Er schnippte mit den Fingern. »Sie haben ihm das Genick gebrochen, als wäre er nichts weiter als ein Hühnchen. Sie haben Jackie nicht einmal Zeit gelassen, um sein Leben zu betteln oder ein Gebet zu sprechen. Wie eine Küchenschabe haben sie ihn zermalmt.« Er stand kurz davor zu weinen, als er ihnen das sagte – zusätzlich überwältigt von der Erleichterung darüber, dass er jetzt zum ersten Mal seit Stunden verhältnismäßig sicher war. »Aber das ist nicht das Schlimmste.«
Ein großer Mann mit einem grauen Bart zündete eine Laterne an. Der Blick aus seinen zusammengekniffenen Augen sprach Bände: Limm musste schon bessere Gründe dafür anführen, dass er sein Versprechen gebrochen und dieses Versteck aufgesucht hatte. »Was noch?«, fragte er.
»Der Aufrechte ist tot.«
Ethan Graves, einst Anführer der Schläger der Spötter und eine Zeit lang Bruder des Ordens von Ishap, jetzt aber vor jedem Gerichtshof im Königreich auf der Flucht, brauchte einen Augenblick, um diese Neuigkeit zu begreifen.
Die Frau, die Kat hieß, war etwa halb so alt wie ihr Begleiter und eine alte Freundin von Limm.
»Wie ist das geschehen?«, fragte sie.
»Es geht das Gerücht, dass er umgebracht worden ist«, sagte Limm. »Niemand weiß es ganz sicher, aber es besteht kein Zweifel daran, dass er tot ist.«
Graves ließ sich an dem kleinen Tisch nieder; er prüfte vorsichtig, ob der kleine Holzstuhl das Gewicht seiner riesigen Gestalt auch wirklich tragen konnte. »Wie könnte das jemand wissen?«, fragte er, ohne dass diese Frage ernst gemeint war.
»Niemand weiß, wer er ist oder wer er war.«
»Ich sage euch alles, was ich weiß«, erklärte Limm. »Der Tagesmeister hat noch gearbeitet, als ich gestern Abend zum Spötterschlupf gekommen bin; er hat sich dort mit Mick Giffen, Reg deVrise und FingerPhil versteckt.«
Graves und Kat tauschten Blicke. Diese Namen waren ihnen wohl bekannt, es waren die ältesten Diebe der Spötter. Giffen war nach Graves der Anführer der Schläger geworden, deVrise beaufsichtigte die gestohlenen Güter, und Phil kümmerte sich um die Taschendiebstähle, die Ladeneinbrüche und die Bengel, die sich auf den Straßen von Krondor herumtrieben.
Limm fuhr fort: »Der Nachtmeister ist nie aufgetaucht. Kaum hatten wir das erfahren, haben wir uns auf die Suche nach ihm gemacht.
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