Feist, Raymond E. - Krondor Saga 02
wären, werden noch vor der nächsten Flut morgen früh die Docks verlassen.«
Limm blickte Graves schweigend an. »Du weißt doch etwas?«
Graves erhob sich von dem kleinen Stuhl. »Ich weiß eine ganze Menge, mein Junge.«
Limm sprang auf. »Bitte, nehmt mich mit. Ihr seid die einzigen Freunde, die ich habe, und wenn der Aufrechte tot ist, könnte jeder an seine Stelle treten. Wenn es der Kriecher ist, sind die meisten von uns ohnehin tot, und selbst wenn einer von uns sein Nachfolger sein sollte, kann niemand sagen, wie viel mein Leben noch wert ist.«
Graves und Kat verstanden den Jungen. Der Friede innerhalb der Spötter wanderte von oben nach unten weiter, aber er hatte nichts mit Freundschaft zu tun. Wenn der Aufrechte tot war, würden alte Streitereien wieder aufflackern, alte Rechnungen beglichen werden. Mehr als ein Spötter würde sterben, ohne zu wissen, für welches vergangene Vergehen er mit seinem Leben bezahlen musste. Graves seufzte ergeben. »Also schön. Ich gebe zu, es sieht hier nicht gut für dich aus, und ein paar weitere Augen und flinke Finger könnten sich durchaus als nützlich erweisen.« Er warf Kat einen Blick zu; sie nickte schweigend.
»Wie lautet euer Plan?«
»Wir müssen noch vor der Morgendämmerung an den Docks sein. Dort liegt ein Schiff, die Stella Maris. Der Kapitän ist ein alter Geschäftsfreund von mir. Er hat sich versteckt und behauptet, das Schiff überholen zu müssen – so lange, bis wir uns von hier wegschleichen können. Er wird nach Durbin segeln, sobald wir an Bord sind.«
»Eine Menge Schiffe werden mit der ersten Flut morgen früh auslaufen, also werden wir nicht viel Aufmerksamkeit erregen«, erklärte Kat.
Limm blickte aufgeregt drein. »Wann machen wir uns auf zu den Docks?«
»Eine Stunde vor der Morgendämmerung. Dann ist es einerseits noch dunkel genug, dass wir uns in den Schatten halten können, aber andererseits geschäftig genug, dass wir in der Stadt nicht allzu sehr auffallen.«
Kat lächelte. »Wir werden eine Familie sein.«
Limms schmales Jungengesicht verzog sich säuerlich. »Mit dir als meiner Mutter?«
Kat war kaum zehn Jahre älter als Limm. »Als deiner großen Schwester«, schlug sie daher vor.
»Wir haben trotzdem noch ein Problem«, meinte Limm.
Graves nickte. »Wir müssen erst einmal auf die Straße kommen.«
Limm lehnte sich zurück, denn er wusste, dass es keinen Plan, keine List und kein vorhersehbares Wunder geben würde, wodurch sie sicher zu den Docks gelangen könnten. Sie würden einfach dieses Versteck verlassen und es riskieren müssen, sich ein Stück durch einen dunklen Tunnel zu bewegen, in dem ein Dutzend Mörder herumlungern mochte. Und sie würden erst dann genau erfahren, worauf sie sich eingelassen hatten, wenn sie losgingen. Limm wurde plötzlich müde. »Ich glaube, ich schlafe ein bisschen.«
»Gute Idee«, stimmte Graves zu. »Da ist eine Pritsche, die du benutzen kannst. Wir wecken dich, wenn die Zeit zum Aufbruch gekommen ist.«
Limm ging in die Ecke und legte sich hin. »Wie stehen unsere Chancen?«, flüsterte Kat.
»Schlecht«, gestand ihr Geliebter. »Wir müssen dem Jungen was zum Anziehen besorgen. Schmutzige Jungen sind an den Docks nichts Ungewöhnliches, aber jemand, der so schmutzig ist « Er versuchte, alles etwas optimistischer zu sehen.
»Trotzdem, wenn der Aufrechte tot ist, könnte es genug Chaos in der Stadt geben, dass wir es ohne großes Aufsehen bis zu den Docks schaffen.«
»Gibt es eine andere Möglichkeit?«
»Nur noch eine«, gab Graves zu. »Und die möchte ich erst dann in Anspruch nehmen, wenn wir gefangen genommen werden.«
»Was für eine ist das?«
Graves blickte die junge Frau an, für die er alles aufgegeben hatte. »Ich habe noch einen Freund, der keinerlei Vorteil davon hat, wenn ich stürzen sollte. Wenn es sein muss, werde ich Limm losschicken, um ihn um Hilfe zu bitten.«
»Wen meinst du?«
Graves schloss die Augen, als fiele es einem so selbstsicheren Mann wie ihm schwer zuzugeben, dass er möglicherweise Hilfe benötigte. »Ich meine den einzigen Dieb, der den Prinzen bitten könnte, mir das Leben zu schenken.«
»Jimmy?«
Graves nickte. »Jimmy die Hand.«
Zwei
Krondor
Die Kolonne ritt auf die Stadt zu.
Die Nachmittagssonne stand schon tief am westlichen Horizont, so dass sich die Türme vor einem zitronengelben Hintergrund dunkel abzeichneten. Über dem östlichen Horizont hingen einige Wolken, die sich jetzt – an einem blauen Himmel, der
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