Feldpostnummer unbekannt
hinterher vielleicht noch Teheran … mal vor, mal zurück … Siegen werden die Blasen an den Füßen, die Malaria im Blut und die Hyänen in der Wüste …
Dann saß der Leutnant an seinem Schreibtisch und starrte ins Leere. Er dachte an seine Eltern, an Luise, und er nahm sich vor, ihnen noch heute zu schreiben, und hoffte dabei, daß sein Lebenszeichen nicht zu den Verlusten der Offensive gehörte.
»Hier«, sagte der Spieß, der Kleebach gefolgt war, und knallte einen Stoß Papiere auf den Schreibtisch, »unser stolzer Nachersatz …«
»Und jetzt?« fragte Thomas.
»Ein neuer Konvoi soll in Neapel auslaufen«, antwortete der Hauptfeldwebel, »vielleicht kommt der durch.«
»Und wenn nicht«, entgegnete Kleebach brummig, »dann nehmen wir eben Pfeil und Bogen.«
Der Spieß dachte ernsthaft nach, wie er die Laune seines Kompaniechefs verbessern könnte. Dann hatte er es und tippte sich an die Stirn. »Mensch … Verzeihung, Herr Leutnant«, rief er, »wir haben zwei Flaschen Beute-Whisky für Sie aufgehoben.«
»Her damit!« antwortete Thomas, der sich sonst nichts aus Alkohol machte. Er zündete sich eine Zigarette an. Vor ihm lagen die Papiere von vierzig Gefallenen. Vierzig Namen. Er überlegte, ob er für den Nachruf an die Hinterbliebenen zuständig sei, und schob dann in Gedanken die Sache der Kriegsmarine zu.
Nicht einer ist davongekommen?
Der junge Offizier blätterte flüchtig die Namen durch. Namen, nichts wie Namen, keiner besagte etwas, keinen hatte er gekannt. Lauter Achtzehnjährige … halt, hier einer mit neunzehn. »Pfeifer«, las er lustlos, dann »Bergmann«, »Huber«, »Müller«, »Triebenbach«, »Kuntze«, »Obermaier«.
Und dann stieß er auf seinen eigenen Namen: Kleebach … K wie Kimme, L wie Laus, E wie Esel, nochmals Esel, B wie Berta, A wie Anton, C wie Cäsar, H wie … Er hatte es aufgegeben zu buchstabieren.
Dann hatte er begriffen, daß sein jüngster Bruder Achim bei dem untergegangenen Transport war …
Die Zigarette verbrannte die Hand seines Zeigefingers: er merkte es nicht. Langsam, mühselig, stand er auf. Müde trat er an das Fenster, und sah drei Landsern zu, die im Schatten eines Zeltes Skat klopften.
»Null ouvert«, sagte einer.
Null ouvert, dachte der junge Offizier, und drehte sich langsam um. Seine Schultern waren hochgezogen. Sein Gesicht war leer. Sein Blick wirkte wirr. Ein paar törichte Sekunden lang betrachtete er das Koppel mit der Pistole, und überlegte, ob es nicht besser wäre, sich das ganze Magazin durch den Kopf zu jagen.
Er stützte sich schwer auf den Stuhl, sah den Whisky, riß die Kapsel von der Flasche, und trank gierig das schale, lauwarme Zeug, setzte ab, und trank weiter, betrachtete das Etikett mit der Aufschrift: ›White horse‹, ›weißes Roß‹, spülte den Rest hinunter, und hörte auf die Geisterstimmen in seinem Kopf, die immer lauter, immer rasender, immer sinnloser zu wiehern begannen: »Im weißen Rössel am Wolfgangsee … im weißen Rössel am Wolfgangsee …«
Als Thomas Kleebach mit der ersten Flasche zu Ende war, hatte sich das Quartett in einen hundertstimmigen Chor verwandelt.
Thomas lag auf dem Feldbett, die Arme hinter dem Kopf gekreuzt, die zweite Flasche neben sich, als der Spieß eintrat und meldete: »Der neue Kommandeur ist eingetroffen … Herr Leutnant, bitte zur Befehlsausgabe.«
»Der leue Komman… Kommandeur … sagen Sie ihm … er kann … er kann mich … schönen Gruß … an … Leneral Lommel … er soll mich auch …« Er stand auf, machte ein paar unsichere Schritte im Raum. »Neue Palole …«, setzte er hinzu: »Leil Litler!«
Der Spieß grinste über sein breites Gesicht.
Leutnant Kleebach blieb vor dem Führerbild stehen, das an der Wand hing, und in seinem Blick lag keine Schmeichelei für seinen obersten Befehlshaber. Und wäre der Kerl in Natura vor ihm gestanden, statt in Öl und Leinwand vor ihm zu hängen, hätte er diesmal das Magazin seiner Pistole zielstrebig entleert.
»Herr Leutnant«, fragte der Hauptfeldwebel vorsichtig, »was soll ich denn dem neuen Kommandeur melden?«
»Sagen Sie ihm, daß ich besoffen bin«, antwortete Thomas und haute sich wieder auf sein Feldbett …
Erst fünf Minuten nach der Detonation der letzten Wasserbombe hatten die Männer des U-Boots, unter ihnen Achim Kleebach als Badegast, begriffen, daß die nächste ausblieb. Sie richteten sich zögernd auf und betrachteten einander, als ob sie sich zum erstenmal
Weitere Kostenlose Bücher