Feldpostnummer unbekannt
Rosenblatt ein Stück … muß noch mal an die frische Luft …« Er wartete keine Antwort ab und schob den Ortsgruppenleiter aus der Wohnung.
Aus Selbstmitleid steigerte sich der Hoheitsträger in seinen Zorn hinein. »Ich dulde das unter keinen Umständen«, sagte er auf der Treppe.
»Pst!« versetzte Kleebach.
»Ich bin verantwortlich für die ordnungsgemäße Zustellung der Vermißten-Nachricht«, fuhr Rosenblatt fort.
»Sie haben sie mir ordnungsgemäß zugestellt.«
»Mensch, Kleebach«, erwiderte Rosenblatt, als sie die Straße erreicht hatten, »nehmen Sie doch Vernunft an … fast jeden Tag stehe ich jetzt vor den Frauen, den Müttern, den Angehörigen …« Seine Stimme wurde schrill. »Meinen Sie, das ist ein Vergnügen?« rief er aufgebracht. »Nein«, gab sich der Ortsgruppenleiter selbst die Antwort, »es ist eine Pflicht … eine Pflicht, die der Teufel holen soll!«
Sie gingen nebeneinander her. Ihre Silhouette verschwand im Nebel, schälte sich im spärlichen Licht der Notbeleuchtung dann wieder aus ihm heraus.
»Wenn Sie das Ihrer Frau nicht sagen können Kleebach«, erklärte Rosenblatt warm, »dann mache ich es für Sie …«
Der Postbeamte schwieg.
»So behutsam ich kann …«, setzte Rosenblatt hinzu.
»Nein«, entgegnete Kleebach. »Fritz ist doch bloß vermißt … ich hab' noch Hoffnung … ein Strohhalm wenigstens … geben Sie mir eine Chance …«
»Vermißt«, erwiderte der Ortsgruppenleiter und schüttelte den Kopf. Er wollte hart bleiben, aber seine Augen waren schon wieder auf der Flucht.
»Zwei Herzanfälle in einer Woche … ich weiß, wie es um Maria steht … und ich lass nicht zu, daß man sie …«
Rosenblatts Hand fuhr an den Kragen. Der Schlips würgte ihn wie ein Strick. »Kleebach«, versetzte er, »das halten Sie nicht durch … das können Sie nicht schaffen … eines Tages muß es Ihre Frau erfahren, und dann …?«
Sie schwiegen beide.
»Sind Sie kein Mensch?« fragte Kleebach.
»Ich kann Ihnen nicht helfen … ich muß die Sache weitermelden …«
Sie blieben beide stehen. Der Abend war dunkel und trübe. Aber Pg. Rosenblatt sah erschrocken den harten Glanz in Kleebachs Augen: es waren die Augen eines Fanatikers, der zu allem entschlossen war, und nicht fragte, wohin es führen mußte.
»Geben Sie mir Zeit!« sagte Kleebach fast drohend.
Der Ortsgruppenleiter ließ seine Schulter durchhängen. Er war längst kein Hoheitsträger mehr, sondern ein Elendsbote. Selbst der Endsieg war ihm schon fast gleichgültig geworden. Er begann die große Zeit zu hassen, an die er geglaubt hatte. »Kleebach«, sagte er, »ich gebe Ihnen drei Wochen Zeit … aber es muß unter uns bleiben … wenn Sie ein Wort weitersagen, bin ich geliefert …«
Kleebach nickte. Drei Wochen, dachte er, drei Wochen! Und die Frist war für ihn so viel wert, wie die verschobene Exekution für einen Delinquenten. Er hatte wenig erreicht, aber er spürte eine Welle heißer, wilder Dankbarkeit, als er Rosenblatt die Hand drückte.
Er ging zu seiner Wohnung mit schnellen, zielstrebigen Schritten zurück. Er stand im Hof des Rückgebäudes und sah sich vorsichtig um. Keiner bemerkte ihn, und so ging er in die frühere Garage, die er sich als Bastelstube eingerichtet hatte. Es war sein Hobby. Aber seit einigen Tagen bastelte er an etwas Furchtbarem: Er versuchte sich in der Handschrift seines Sohnes, den wiederzusehen er nicht hoffen konnte. Mit fremder Hand brachte er Gedanken und Wünsche eines Toten zu Papier, wußte, daß es ein Frevel war, und fragte nicht danach. Er sah nur Marias trostloses Gesicht vor sich, wenn er nach der Postzustellung nach Hause kam, und gegen das er nur ein müdes Kopfschütteln setzen konnte. In letzter Zeit stand sie schon am Fenster, sah ihm entgegen, und schloß aus der Art, in der er ging, daß er heute wieder mit leeren Händen kam.
Arthur Kleebach hatte die Tür hinter sich verschlossen. Er saß an einem Hobeltisch, hatte ein Schulheft von Fritz vor sich, pauste Buchstaben durch und versuchte sie nachzuzeichnen. Er verbesserte das große R; die Schleife des Ps gelang ihm nicht, ein eigenwilliger Schwung, mehr ein jugendlicher Schnörkel. Aber der Postbeamte hatte in jeder freien Minute geübt und geprobt und war dadurch reif geworden für die Fälschung.
Jetzt hatte er den Bogen vor sich und schrieb: »Meine lieben Eltern, gerade komme ich vom Einsatz zurück, es ist alles gut gegangen, und ich bin noch etwas erregt; ich muß Euch
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