Felicity Gallant und Das Auge des Sturms (German Edition)
Backgammonbrett ist da«, bemerkte er erfreut.
Felicity setzte sich in einen Sessel. Das Gefühl kehrte langsam in ihre Füße zurück; sie kribbelten und juckten. Henry und Martha trugen gemeinsam ein Tischchen zu den Sesseln, dann trat Henry an ein Fenster und kletterte aufs Fensterbrett.
»Von hier aus hat man eine prima Aussicht«, verkündete er. »Ich sehe die Sturmwolke ganz deutlich.«
Martha schob einen Stuhl zum Fenster und stellte sich darauf. »Ja. Ein tolles Schiff, nicht? Merkwürdig, dass sie nach all den Jahren wieder zurück in Wellow ist.«
Henry zuckte nur die Achseln. Er ließ sich nicht dazu herab, irgendetwas, das mit Schmuggel zu tun hatte, toll zu finden.
»Henry hat für die Gentry keinerlei Sympathie«, erklärte Felicity.
Martha sah ihn erstaunt an. »Aber findest du das alles nicht schrecklich aufregend?«
Er warf Felicity einen vorwurfsvollen Blick zu. »Es ist kein Spaß, wenn Leute ermordet oder ausgeraubt werden«, sagte er streng.
»Du redest davon, dass sie Schiffe auf die Klippen gelockt haben, um sie auszuplündern, oder?«, fragte Martha. »Aber nicht alle Mitglieder der Gentry waren Strandräuber. Soweit ich weiß, gab es etliche Leute, die da nicht mitgemacht haben.«
»Woher weißt du so genau Bescheid?«
Martha schien sich über die Frage ein bisschen zu wundern. »Na ja, das ist doch klar: Nachdem meine Eltern mir gesagt hatten, dass wir nach Wellow ziehen, habe ich mir eben Literatur besorgt und mir einen Überblick über die Geschichte der Gegend verschafft.«
»Versteht sich.« Henry verzog das Gesicht.
»Natürlich kenne ich mich nicht so gut aus wie ihr zwei«, fügte Martha hinzu.
Felicity musste lachen. Dann erzählte sie, ohne auf Henrys gereiztes Hüsteln zu achten, Martha alles, was in den letzten Wochen passiert war: wie sie zu dem roten Buch gekommen war, vom Besuch ihrer Großmutter, vom zunehmend seltsamen Verhalten ihres Vaters und so weiter.
»Faszinierend«, sagte Martha begeistert. »Komisch, dass dein Vater nie erwähnt hat, dass er der Sohn von Rafe Gallant ist.«
»Ich frage mich, wie Rafe diese Frau heiraten konnte, die angeblich meine Großmutter ist.« Felicity war ganz aufgeregt, weil sie endlich jemanden gefunden hatte, der all die Merkwürdigkeiten der Geschichte ernst nahm und nicht als zufällig oder unbedeutend abtat.
»Und das Ganze fing damit an, dass du dem Kapitän der Sturmwolke hier in der Bibliothek begegnet bist?«, fragte Martha.
»Ja.« Felicity nickte. »Seltsam, nicht? Wieso hat er mir dieses Buch gegeben?«
Henry stand wieder am Feuer und setzte die Steine auf das Backgammonbrett. »Das einzig Seltsame an der Sache ist, dass du so viel Zeit damit verbringst, aus lauter Ereignissen, die nicht das Geringste miteinander zu tun haben, eine große Geheimaffäre zusammenzuspinnen«, spottete er.
Felicity spürte Ärger in sich aufsteigen. »Du hast leicht reden«, sagte sie gereizt. »Du musst nicht mit einer bösartigen Großmutter leben, die aus dem Nichts aufgetaucht ist. Und du hast auch keinen Vater, der sich plötzlich so merkwürdig benimmt.«
Martha legte ihr tröstend die Hand auf den Arm. »Wie wär’s mit einer Tasse Tee?«, fragte sie. »Miss Cameron hat mir einen Wasserkessel gegeben, den kann man am Haken über dem Feuer aufhängen. Und ich habe ein paar Stücke Kuchen eingesteckt, während meine Mutter damit beschäftigt war, Geschirr zu zerschmeißen.«
Abgeschirmt vor der Außenwelt im gemütlichen Lesezimmer der Bibliothek, verbrachten Felicity, Henry und Martha auch die folgenden Ferientage mit Backgammonspielen, Plaudern und Lesen.
Miss Cameron, die normalerweise streng auf Sparsamkeit achtete, zeigte sich in weihnachtlicher Spendierlaune: Jeden Tag brannte ein prasselndes Feuer im Kamin und ein Korb mit Scheiten zum Nachlegen stand bereit. Auch die Regel, dass in den Räumen der Bibliothek Gespräche nur soweit unbedingt nötig und in gedämpftem Ton geführt werden durften, schien weitgehend außer Kraft gesetzt zu sein.
Nachdem sie auch noch eine große Eisengabel besorgt hatten, mit der man Toast über dem Feuer rösten konnte, war die Einrichtung ihres neuen Reichs komplett. Henry breitete den Proviant aus, den seine Mutter ihm mitgegeben hatte: Brot, Butter, Milch, Marmelade, Käse, Eier, saure Gurken, Kompott, Schinken, Leberwurst und Tomaten. »Ob das wohl reicht für einen ganzen Tag?«, fragte er mit sorgenvoll gerunzelter Stirn.
»Ich denke, zur Not werden wir schon damit auskommen.«
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