Felicity Gallant und Das Auge des Sturms (German Edition)
Felicity grinste breit.
Es war, als hätten sie ein eigenes Wohnzimmer ganz für sich – ein Zuhause fern von daheim. Am Nachmittag, wenn es draußen dunkel wurde, zogen sie die schweren roten Vorhänge zu, und dann fühlten sie sich wie auf einer Insel, vollkommen sicher und geborgen. Nach und nach wurde Martha immer vertrauter mit den beiden, sie hatte weniger das Bedürfnis, wichtigtuerisch zu plappern, und dachte mehr nach, bevor sie redete. Die drei wurden schließlich richtig gute Freunde. Sie bildeten eine harmonische Gemeinschaft, in der sich jeder vollkommen wohlfühlte.
Zusätzlich zu Backgammon brachte Henry den Mädchen ein türkisches Spiel namens Okey bei, das mit Plättchen gespielt wurde, die verschiedene Farben und Zahlenwerte hatten. Felicity und Martha lernten es schnell und so verbrachten sie ihre Zeit mit Spielen, Toastknabbern und Teetrinken.
Wohlig seufzend lehnte sich Martha im Sessel zurück. »Es ist so friedlich hier«, sagte sie verträumt. »Viel angenehmer als zu Hause.«
»Hmm.« Felicity nickte. All der Ärger und Verdruss bei ihr zu Hause schien im Moment Lichtjahre weit weg zu sein.
»Ja, viel besser als das Chaos bei uns daheim.« Henry blickte zufrieden in die Runde. »Hier ist man so richtig im Auge des Sturms.«
Die beiden Mädchen sahen ihn verständnislos an.
»Na ja, das ist so ein Ausdruck, den die Leute von der Gentry verwendet haben«, erklärte er. »Das Auge des Sturms ist das Zentrum eines Orkans, die Mitte, wo es vollkommen windstill ist.«
Felicity lächelte. »Ja, genau so fühlt es sich an«, sagte sie. Am liebsten wollte sie nie mehr von hier fort.
»Hast du das Buch gelesen?«, fragte Martha, als sie am letzten Ferientag wieder im Lesezimmer zusammensaßen. Felicity blickte auf. »Ich meine: das Buch, das Abednego dir am Strand gegeben hat?«
Henry seufzte. »O ja, und ob sie es gelesen hat. Ungefähr eine Million Mal.«
»Es ist wirklich interessant«, entgegnete Felicity.
»Ich könnte ja auch mal einen Blick reinwerfen«, sagte Martha. »Vielleicht entdecke ich irgendeinen Hinweis darauf, warum Abednego es dir gegeben hat. Meine Eltern haben mich schließlich schon früh als wissenschaftliche Hilfskraft für sich arbeiten lassen.« Es klang ein bisschen verbittert. »Wieso sollte ich meine Fähigkeiten nicht auch mal in den Dienst meiner Freunde stellen, wenn ich schon welche habe … äh, ich meine –«
Henry beugte sich vor und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Na klar hast du Freunde«, sagte er. »Oder glaubst du vielleicht, ich verbringe meine ganzen Weihnachtsferien mit Hinz und Kunz?«
»Wir sind Freunde, ganz eindeutig«, bestätigte Felicity ernst.
Marthas sommersprossiges Gesicht strahlte. »Äh, ja, das ist …« Sie strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr und errötete verlegen.
»Wieso fängst du nicht jetzt gleich damit an?« Felicity beugte sich hinunter zu ihrer Tasche und zog das Buch hervor.
»Sag bloß, du schleppst das Ding andauernd mit dir herum?«, rief Henry fassungslos.
Felicitys Gesicht verfinsterte sich. »Ich traue meiner Großmutter nicht: Bestimmt schnüffelt sie in meinem Zimmer rum, wenn ich nicht da bin. Sie hat alle meine Bücher auf den Müll geworfen, darum bin ich lieber vorsichtig.«
Martha streckte die Hand aus. Einen Moment lang zögerte Felicity – sie musste erst einen ganz irrationalen inneren Widerstand überwinden –, dann gab sie ihr das rote Buch.
Martha starrte verblüfft auf den Titel. »Soll das ein Witz sein?«, fragte sie.
Felicity und Henry runzelten verwirrt die Stirn.
Ihre Freundin lächelte. »Ihr wisst tatsächlich nicht, was das ist? Was meinst du, warum Abednego es gelesen hat?«
»Warum wohl?«, fragte Felicity etwas gereizt. »Weil sein Schiff darin vorkommt.«
»Ich glaube«, sagte Martha, »Abednego hat es gelesen, weil es einem nicht oft passiert, dass man ein Buch in der Hand hält, das dafür berühmt ist, dass es überhaupt nicht existiert.«
»Was soll das bedeuten?«
»Das ist Die Entstehung von Geschichten von Hodge, Heyworth und Helerly!«
Das wusste Felicity natürlich bereits, es stand ja auf dem Titelblatt. »Na und?«
»Wenn ein Literaturwissenschaftler dieses Buch in die Finger kriegen würde, hätte er wahrscheinlich das Gefühl, als hätte er, sagen wir mal, das Goldene Vlies entdeckt. Meine Eltern würde der Schlag treffen, wenn sie wüssten, dass du so was in deiner Tasche mit dir rumträgst.« Sie kicherte.
Felicity warf ihr einen
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