Felidae 3 - Cave Canem: Ein Felidae-Roman
Prüfung.
Der Wagen bog in einen Stadtbezirk ab, und - oh, wie geschah mir! - Millionen von Déjà-vus fluteten mit einem Male durch mein Bewußtsein in Anbetracht der romantischen Altbaustraßenzeilen und idyllischen Plätze, die uns entgegenkamen. Die immer mehr zu Gewißheit werdende Ahnung wurde vollends bestätigt, als der New Beetle in eine bestimmte Straße einschwenkte, seine Fahrt verlangsamte und schließlich vor einem ganz bestimmten Haus zum Stehen kam. Ich faßte es kaum, doch der Betrunkene hatte genau vor Gustavs Bruchbude geparkt! Die auf antik gequälte Straßenlaterne gleich links vor der Tür warf gnädig einen milden Schein auf die Fassade des Gründerzeitgebäudes und zeichnete es trotz Verwesung und Verfall zumindest in der Nacht als den König unter seinen Nachbarn aus.
Ich war gerade dabei, im Geiste drei Kreuze zu machen, weil vor der Tür kein einziger Vertreter der neugeschaffenen Allianz stand, als die Fahrertür aufgerissen wurde, und der beduselte Lenker ausstieg. Er war mit einer knielangen Kapuzenjacke aus einem kartoffelsackähnlichen Gewebe und einer schwarzen Lederhose angetan und wankte wie auf hoher See. Der ihm entströmende Fuselgestank traf mich mit solcher Wucht, daß ich unwillkürlich einen Buckel machte. Der Schatten eines Astes bedeckte seinen Hinterkopf, der einer Bowlingkugel verdammt ähnlich sah.
Aus dem Innern des Wagens war noch für eine kurze Zeit unerträglicher Rap-Stumpfsinn zu hören (irgendwelche Tagediebe taten ihre unverzichtbare Meinung zum Thema Triebleben kund), bis die Schnapsnase mit dem Zuknallen der Tür die Ohrbeleidigung abrupt zum Verstummen brachte. Dabei wandte er sich zu mir, ohne mich allerdings in seinem Delirium wahrzunehmen, und ich erhaschte einen Blick auf sein Gesicht. Ich hatte bereits erwähnt, daß ich hinter dem Schlamassel, in dem ich steckte, eine göttliche Prüfung vermutete. Aber wie hart diese Prüfung wirklich war, begriff ich erst, als ich in der Visage vor mir niemanden anderen als meinen guten alten Archie erkannte!
Der Leichtfuß kehrte von einem Discobesuch zurück, das war so klar wie der Blutalkoholspiegel in seinen Adern. Wann wollte dieser Kerl jemals erwachsen werden! Andererseits hatte er mir infolge seines ausschweifenden Nightlifes nachweislich das Leben gerettet, auch wenn auf unserer gemeinsamen kurzen Reise der dritte Passagier an Bord eher »der Tod« geheißen hatte. Während ich so über Archies traurige Existenz und die mich betreffenden Begleiterscheinungen philosophierte, kam mir unerwartet eine neue Idee in den Sinn, wie ich mein Glück noch ein bißchen weiter ausreizen könnte. Ich glaubte, einen Weg gefunden zu haben, wie ich unbemerkt ins Haus gelangen konnte. Sicher war sicher.
Als der Glatzkopf mit den tümpeltrüben Augen und monumentalen Tränensäcken sich umdrehte und umständlich den Hausschlüssel aus der Tasche kramte, tat ich einen lautlosen Hopser in seine Kartoffelsackkapuze. Irgend etwas war passiert, das spürte Archie - aber etwa mit dergleichen Sensibilität wie ein Narkotisierter auf dem OP-Tisch, dem man gerade ein neues Herz einsetzte. Erst schaute er konsterniert zum Nachthimmel, als habe sich eine vorwitzige Taube auf seinem Kopf erleichtert, dann führte er einen sonderbaren Tanz auf, indem er mindestens dreimal um seine eigene Achse kreiste, jedoch das Phantom, das er in seiner unmittelbaren Nähe vermutete, immer noch nicht ausmachen konnte. Schließlich lächelte er das abgeklärte Lächeln des Trunkenbolds, dem weiße Mäuse so vertraut sind wie unsereins das eigene Spiegelbild, schüttelte den Kopf und torkelte zur Tür. Er schleppte sich die fünf Stufen hinauf und versuchte dann, den Schlüssel in das Schloß zu stecken. Bis er endlich drin war, hatte man mehrfach Schillers »Glocke« aufsagen können und als Zugabe noch den »Erlkönig« von Goethe.
Im Treppenhaus hielt ich meine Chance für gekommen, aus der Kapuze zu schlüpfen und rasch in meiner Bude zu verschwinden. Doch die Serie der Geistesblitze schien an diesem Tag nicht abbrechen zu wollen. Was die These bestätigen mag, daß bei brillanten Geistern von meinem Format die ideale Betriebstemperatur erst dann erreicht ist, wenn um sie herum alles in Flammen steht. Mit einem Wort, ich hatte eine neue Eingebung, wie ich der Lösung dieses hoffnungslosen Falles noch ein klein wenig näher kommen konnte. Es handelte sich gewissermaßen um ein Experiment - mit ungewissem Ausgang. Die Schwierigkeit bestand nämlich
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