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Felidae 3 - Cave Canem: Ein Felidae-Roman

Felidae 3 - Cave Canem: Ein Felidae-Roman

Titel: Felidae 3 - Cave Canem: Ein Felidae-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirinçci
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über den eigentlichen Text gekrakelt, augenscheinlich den Inhalt verhöhnend. Hin und wieder tauchten Witzzeichnungen auf, deren Motive am Galgen baumelnde oder mit einem Messer im Rücken grotesk stark blutende Strichmännchen waren.
    Der Wirrwarr der losen Blätter verdichtete sich erst zu einem Durcheinander von Notizbüchern und schließlich zu einem von turmhohen Heftstapeln, bis ich mich plötzlich in einem Saal wiederfand, der den Gipfel des Chaos darstellte. Es schien ein extrem geräumiges Arbeitszimmer zu sein, aber man brauchte wirklich eine Menge Phantasie, um das in seinem derzeitigen Zustand noch erraten zu können. Aus den in zwei gegenüberliegende Wände eingebetteten, deckenhohen Regalen waren fast sämtliche Bücher wie in einem Anfall von Buchhaß herausgerissen und auf das Parkett zu den übrigen Bergen von Akten und Unterlagen geworfen worden. Die antike Bibliotheksleiter lag zerschlagen im hinteren Bereich und sah aus, als hätte Mike Tyson sie als Sparringspartner benutzt. Jeder Tisch, jeder Stuhl, jede Bank war übersät mit handgeschriebenem und maschinengetipptem Papierkram, er quoll aus erlesenen Truhen und Schränken wie das Erbrochene eines Schreibwütigen und bildete trotz der Finsternis die alles dominierende bleiche Grundfarbe des Raumes.
    Andere Fundsachen waren jedoch nicht weniger interessant, um nicht zu sagen gruselig. Und dazu gehörte nicht nur die vorsintflutliche Olivetti, mit der vermutlich ein Teil der Texte produziert worden war und die irgendwo in dem Gewirr herumlag, selbstverständlich total demoliert. Es handelte sich um Andenken, um Kriegsandenken, um genau zu sein. Eine arg zerschrammte Kalaschnikow, quasi der Reisepaß des Universal Soldier , ein noch fabrikneuer Wehrmachtshelm, ein Schrumpfkopf mit erstaunlich langen und schwarzen Haaren, ein Mörser, quasi das obligate Reisegepäck des Universal Soldier , verschiedene Speere und Pfeile und Bögen von Eingeborenenstämmen, eine von geronnenem Blut steife irakische Fahne, eine durch exzessive Nutzung stumpf gewordene Machete, ein Totenschädel unbestimmter Herkunft, doch höchstwahrscheinlich von den »Killing Fields« aus Kambodscha und so weiter und so fort. All diese Exponate hatten ihre vornehmen Plätze in den Vitrinenschränken und auf den Podesten verlassen und sich in wilder Konfusion unter die Papiere und Bücher gemischt.
    Kein Zweifel, in dieser heiligen Halle hatte Gevatter Krieg seine schönste Ehrung erfahren. Und was diese gewaltige Zettelwirtschaft auf dem Boden betraf, glaubte ich ihren Inhalt ebenfalls zu kennen, ohne auch nur einen einzigen gelesen zu haben: wissenschaftliche Untersuchungen über den Krieg.
    Daß man es aber bei diesem Chaos nicht mit den Auswirkungen eines Hurrikans zu tun hatte, belegte eine weitere Verrücktheit. Von der Decke hingen Hunderte großformatiger Schwarzweißfotos an Bindfäden herunter. Offensichtlich mit einer Laienkamera geschossen, die meisten ein wenig unscharf. Wie nicht anders zu erwarten, zeigten diese Bilder das unfaßbare Leid ausgelöst durch jenes Phänomen, dem an diesem gespenstischen Ort gehuldigt wurde. Ein Esel, dem eine Granate die gesamte Bauchseite aufgerissen hatte. Das Tier hielt sich noch auf den Beinen, obwohl seine Eingeweide bereits auf der Erde lagen. Flüchtlingstrecks, in den Wagen hastig zusammengesuchte Habseligkeiten und angstvolle Gesichter, auch die von Kindern.
    Ein GI, dem offenbar eine Mine ein Bein abgerissen hatte. Kameraden stützten ihn, während er in ihren Armen verblutete. Eine nackte Frau, totgeprügelt, die Lippen weggebissen ... Unter den schrecklichen Bildern befanden sich auch jene, die Andromeda in ihren Visionen erblickt haben wollte: die sich gegenseitig niedermetzelnden Eingeborenen im Dschungel, die brennenden vietnamesischen Kinder neben dem Reisfeld und die zur Massenvergewaltigung schlangestehenden Soldaten auf dem Bauernhof.
    Handelte es sich bei der erbarmungswürdigen Pudeldame also letzten Endes doch nur um eine Betrügerin? Denn sicherlich hatte sie sich in der Nähe ihres Verschlages auch schon einmal die schiefgewachsenen Beine vertreten, sich dabei ins Haus verirrt und die schrecklichen Bilder gesehen. Und nachdem sie über den Tratsch-und-Klatsch-Telegrafen im Revier mitgekriegt hatte, worüber sich die Zeitgenossen gegenwärtig am heftigsten die Mäuler zerrissen, tischte sie Hektor und mir die entsprechenden »Visionen« auf. War das des Pudels wahrer Kern? Inwieweit war sie ein Teil dieses

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