Felidae 3 - Cave Canem: Ein Felidae-Roman
wie von Motten zerfressene und an den Rändern ausgefranste Ohren flatterten mächtig im Flug. Zerzaustes, fahles Fell, das mehr offene Wunden aufwies als heile Stellen, reflektierte das Gewitterleuchten, so daß ich zweimal hinsehen mußte. Weißliche, blinde Augen glotzten mich starr an, und ein offenes Maul, in dem sich zwar nur wenige, aber gefährliche gelbe Stümpfe befanden, schien es gar nicht abwarten zu können, mein schlaues Köpfchen zu schlucken. Fürwahr, jede Geisterbahn wäre für diese Attraktion dankbar gewesen.
Andromeda stürzte auf mich wie der lang gefürchtete Meteorit, und mein Ausspruch »Uff!« drückte nur andeutungsweise aus, was ich nach dem Aufprall tatsächlich spürte. Ich glaubte die Bestie endlich gefunden zu haben, wiewohl ich mir über deren Motiv aufgrund der momentanen Unpäßlichkeit nicht allzu viele Gedanken machen konnte. Sofort gingen wir in den Clinch, was sich natürlich als ein ungleicher Kampf gestaltete, da meine Gegnerin viel größer und schwerer war als ich. Während wir in fester Umklammerung über die Papierhalde rollten und ich meine Krallen in ihr Fell schlug und die Zähne in ihren Hals, vernahm ich ihren gräßlichen Krankheitsgestank. Doch es war mehr als das. Ein Geruch, der den Magen auf der Stelle revoltieren ließ und an die finstere Seite der immer neues Leben gebärenden Natur erinnerte, an ekelerregende Zersetzungsprozesse, an widerwärtige kleine Wesen, die nur unter dem Mikroskop sichtbar sind und die erst dann zum Leben erwachen, nachdem ihr »Wirt« mit dem Leben abgeschlossen hat, an das beginnende Leben nach dem Tod ...
Plötzlich merkte ich, daß ich keineswegs mit Andromeda kämpfte, sondern genaugenommen mit mir selber. Denn meine Gegnerin, so schien mir, leistete überhaupt keinen Widerstand. Vielmehr benutzte ich die Pudeldame wie eine dieser spaßigen Tanzpartnerattrappen, deren ausgestopfte Füße sich der Clown an die eigenen bindet und so Turniertänzer persifliert. Ich wußte nicht, ob ich mit dieser Vermutung richtig lag, doch sicher war, daß ich während des »Kampfs« noch keine Blessuren davongetragen hatte. In meinem ersten Schreck hatte ich mich gegen die vermeintliche Angreiferin automatisch gewehrt, aber bildete ich mir die Attacke womöglich nur ein? Mochte es auch riskant sein, ich unterbrach jegliche Aktion, als meine Zweifel wuchsen.
Andromedas Leiche sackte über mir zusammen wie eine zerrupfte Gliederpuppe. Das zum Gotterbarmen stinkende Bündel erdrückte mich beinahe, und es dauerte eine Weile, bis ich zumindest einen Teil meines Körpers darunter herausziehen konnte. Nachdem ich mich halbwegs aufgerichtet hatte, sah ich das große Loch an ihrem Nacken, das beim Aufhängen am Kronleuchterhaken entstanden war. Der Mörder hatte sich dabei keine besondere Mühe gegeben, also einen baldigen Absturz der Leiche in Kauf genommen. Was wiederum bedeutete, er ließ es darauf ankommen, daß ich auf solch gruselige Art und Weise überrascht würde. Neptun! Er hatte mich hierhergelockt, um mir seine perfide Macht über das Rätselspiel zu beweisen. Die Revierbewohner würden mich weiterhin der Morde verdächtigen, weil der Spuk einfach kein Ende nahm.
Obwohl Andromedas Tage auch ohne dieses bestialische Verbrechen gezählt gewesen waren, durchströmte mich angesichts ihrer erschütternden Erscheinung tiefe Trauer. Ich stellte mir vor, wie sie in jungen Jahren ausgesehen haben mochte, als sie noch glücklich bei ihrer astrologiekundigen Besitzerin gelebt hatte. Gewiß war sie ein ausnehmend hübscher Pudel gewesen, denn auch wenn sie nun wie ein fellüberzogener Totalschaden wirkte, konnte ich doch dank ein paar verbliebener Spuren die einstige Anmut heraufbeschwören. Die zum Knuddeln süße spitze Schnauze, der drahtige Leib, das zwischen rosa und apricot changierende Fell, von dem leider nicht mehr viel übriggeblieben war, und dieser selbst im Tode liebenswürdige Gesichtsausdruck. Und wie bei der Besichtigung von Roxys Leiche merkte ich erst nach einer Weile, daß ich in Tränen ausgebrochen war, welche auf diese arme Kreatur perlten wie eine letzte Ölung. Doch diesmal weinte ich nicht nur aus Mitleid, sondern auch aus bohrendem Schamgefühl, weil ich Andromeda noch vor einigen Minuten verwerflicher Dinge verdächtigt hatte. Es gab trotzdem noch eine weitere Parallele zu Roxys Tod: Mit einer gewaltigen Wut im Bauch schwor ich erneut Rache und wollte alles in meinen Kräften Stehende tun, daß dieser Verbrecher unter weit
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