Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)
leise ein paar letzte Töne klimperte, ehe es geschockt verstummte, während ich eintrat. Trotzdem konnte ich die herrschende Spannung spüren. Die Zombies, die bereits aufgeschaut hatten, um mich einzuschätzen, starrten mich weiterhin an. Die anderen, die die Stimmung mitbekamen, blickten nun ebenfalls hoch, um zu sehen, was im Gange war.
Ich setzte mich auf einen Stuhl gleich neben der Tür und griff nach einer Ausgabe des
Readers’ Digest
. Ich blätterte darin, fand einen Artikel über die zunehmende Bedeutung von Walnüssen bei der Behandlung von Dickdarmkrebs und begann zu lesen. Das Tolle am
Reader’s Digest
war, dass er jenseits von Zeit und Raum, so wie wir beides kennen, existierte. Mystiker und Ekstatiker lasen ihn, um einen Trancezustand zu erreichen, der tiefer war, als herkömmliche meditative Techniken zuließen.
Leider war es mir jedoch an diesem Tag nicht vergönnt, einen niedrigeren Bewusstseinszustand zu erreichen. Über den Rand des Magazins sah ich, wie sich der breite Oberkörper eines Mannes in mein Gesichtsfeld schob.
»Du bist lebendig«, sagte eine raue Stimme, begleitet von einem rasselnden Atemstrom.
»Ja«, bestätigte ich, ohne hochzuschauen. »Aber ich arbeite weiter daran. Sie wissen ja, wie es ist.«
»Was zur verdammten Hölle hast du hier zu suchen, du blutwarmes Stück Scheiße?« Das wurde ein wenig heftiger ausgesprochen, und der Schwall faulig stinkenden Atems erzeugte bei mir beinahe ein krampfhaftes Würgen.
»Ich warte auf einen Freund«, sagte ich friedlich.
Eine kurze Pause entstand, dann: »Warte draußen.«
Ich schaute hoch. Der Knabe musste damals, als er noch zu den Lebenden zählte, ein wahrer Schrecken gewesen sein, und jetzt, als Toter, war er noch beängstigender. Er maß etwa eins fünfundachtzig und bestand hauptsächlich aus Muskeln, und zwar jener Art scharf konturierter, überdeutlich definierter Muskulatur, die man durch intensives Training erwarb. Seine Arme waren nackt, und sein T-Shirt war hauteng, daher konnte man, wenn er sich bewegte, die Muskeln hin und her gleiten sehen wie tektonische Platten. Sein kahler Schädel glänzte – offensichtlich nicht von Schweiß, daher tippte ich auf irgendein Öl. Er war ein Thanato-Narzisst, verliebt in sein eigenes abgestorbenes Fleisch, das er pflegte und aufpolierte wie ein Museumsstück.
Aber ich war für einen Tag genug herumgeschubst worden. Und nicht nur genug, sondern mehr als genug.
»Ich denke, ich bin hier genau richtig«, sagte ich und widmete mich wieder der guten Nachricht über Walnüsse.
Er schlug mir das Magazin aus der Hand. »Nein«, knurrte er. »Das bist du nicht. Denn wenn du hierbleibst, reiße ich dir die Zunge aus dem Hals.«
Ich schaute mich um und registrierte die Reaktionen der restlichen toten Klienten Imeldas. Ihnen schien nicht zu gefallen, was geschah – aber Imeldas Dienste waren nicht billig. Die meisten sahen aus, als seien sie um einiges wohlhabender als dieses armselige Stück Wurmfutter, und sie hatten wahrscheinlich jene für den Mittelstand typischen Hemmungen, eine Szene zu machen. Das war gut für mich. Es bedeutete, dass sie sich höchstwahrscheinlich nicht auf mich stürzen und mir Arme und Beine abreißen würden, wenn das Ganze schiefgehen sollte.
»Okay, Kumpel«, murmelte ich. Ich stand auf, und er ging sofort in Position und wartete darauf, dass ich den ersten Schlag ausführte. Er war sich seiner eigenen Kraft sicher genug, um zu wissen, dass ihn nichts, was ich gegen ihn aufbieten konnte, ausschalten würde, und dass er mich, nachdem er mir einen wirkungslosen Treffer an sein Kinn gestattet hätte, nach Lust und Laune in meine Einzelteile zerlegen konnte.
Ich hatte den Myrtenzweig zweimal um meine Hand gewickelt. Ich schlug damit gegen seine Stirn und stieß die Worte »Hoc fugere!« hervor. Er flog so schnell nach hinten, als hätte ich ihm die Mündung einer Schrotflinte in den Mund gerammt und abgedrückt.
Es war kein Exorzismus – nichts dergleichen. Es war einfach nur die schlichteste und grundlegendste Form Naturmagie, eine Elementarabwehr, die nur etwa drei Wochen im Jahr wirksam war, solange der Zweig fachgerecht geschnitten und geweiht wurde. Wenn die Toten, ganz gleich ob sie sich im Körper oder außerhalb befanden, einem solchen Schutzzauber zu nahe kamen, ist es genauso, als hätten sie ein Hochspannungskabel berührt. Es tat verdammt weh.
Der Zombie landete ziemlich hart auf dem Boden und blieb dort mit spastischen Zuckungen und weit
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