Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)
die unmittelbare Zukunft seines Gegenübers entwickelte, und wenn ich mich nicht sehr irrte, steckte ich tief in der Scheiße.
Unsere Reise endete irgendwo in der Hendon Lane. Coldwood stieg aus und hielt mir die Tür auf. Ich stieg ebenfalls aus und erkannte vorerst nur, wie überheizt der Wagen gewesen war, als die kalte Nachluft über den Schweiß in meinem Gesicht fächelte.
»Dort drin«, sagte Coldwood und deutete geradeaus.
Wir standen vor einem Bau aus gelbem Klinker, der aussah wie ein Gemeindesaal. Der Wagen hatte die Straße verlassen und stand auf einem schmalen, ebenfalls gepflasterten Streifen, der offensichtlich als Parkplatz diente – aber polizeiliches Absperrband mit der Aufschrift KEEP OUT trennte ihn zu drei Vierteln ab. Das Gebäude selbst war eindeutig außer Betrieb, wie die zugenagelten Fenster und fußhohe Unkrautbüsche vor den Außenmauern verkündeten. Auf einer Seite stand ein Hinweisschild, und als ich dorthin schaute, glitten die Scheinwerferstrahlen des zweiten Streifenwagens, der ebenfalls die Fahrbahn verließ und mit einem gedämpften Ächzen seiner hydraulischen Federung zum Stehen kam, kurz darüber hinweg:
Friends’ Meeting House
. Na prima, es ist immer schön, unter Freunden zu sein. Die restliche Straße war mit Fabrikgebäuden und Lagerhäusern gesäumt, alles dunkel, abgesehen von den Straßenlampen, und sogar einige davon brannten nicht, zweifellos zertrümmert von Kindern, die gut zielen konnten, über einen ausreichenden Vorrat an halbierten Ziegelsteinen verfügten und zu viel Freizeit hatten.
Zwei Polizeibeamte rahmten die Tür ein und grüßten mit einem respektvollen Kopfnicken, als Coldwood an ihnen vorbei ins Haus ging. Er ignorierte sie.
Im Flur gab es keine Lampen. Aber der hellgelbe Schein tragbarer Scheinwerfer drang aus einem Raum im Innern des Gebäudes. Wir gingen weiter hindurch und schirmten die Augen vor dem grellen Licht ab. Das Echo meiner Schritte deutete sofort auf einen größeren Raum hin, noch bevor sich meine Augen ausreichend an die Helligkeit angepasst hatten, um meine Umgebung halbwegs zu erkennen. Dunkle Gestalten gingen auf einer freien Fläche hin und her. Ihre Schuhe raschelten und knisterten auf dickem Kunststoffbelag.
»Hier ist noch eine Kugel, Len«, sagte eine Stimme.
»Im Fußboden?«, fragte eine zweite Stimme laut zurück. Sie gehörte jemandem, der entweder zu viel rauchte oder unter der schlimmsten chronischen Bronchitis litt, die mir je begegnet war.
»Nein, in diesem Pfeiler hier – ein totaler Irrläufer. Der Schütze wurde offenbar angerempelt, ehe er mit seiner Waffe richtig zielen konnte.«
»Okay. Messen Sie den Aufschlagwinkel und markieren Sie die Stelle.«
Der Raum fügte sich vor mir stückweise zusammen, da meine Müdigkeit den normalen Prozess der visuellen Anpassung um das Doppelte verlängerte. Er war noch größer, als ich angenommen hatte, denn ich hatte zuerst nur den Teil gesehen, der von den Scheinwerfern erhellt wurde. Weitere Schattenbereiche lauerten am Rand des Lichtkreises und verbargen weitere Nischen und Winkel.
Es war ein typischer, im modernen Stil gehaltener kirchlicher Gemeindesaal. Ihm fehlte die erdrückende Erhabenheit, die man bei vielen älteren Kirchen antreffen kann, aber er war auf seine Art durchaus gefällig. Viel helles Holz, vorwiegend in Gestalt von Deckenbalken, Stützpfeilern und Fensterrahmen; dazu ein symmetrischer Grundriss mit zahlreichen Nischen, so dass die Grundform quadratisch erschien und an ein Origamiobjekt mit freier Mittelfläche erinnerte, die sich nach außen auffaltete. Ein typisches Beispiel für die spießige Transzendenz des IKEA -Zeitalters. Nur das, was jetzt hier vor sich ging, widersprach all dem: forensische Wissenschaft und der Triumph der rationalistischen Weltsicht. Männer und Frauen in weißen Kitteln, bewaffnet mit Wischtüchern, Tupfern und Maßbändern, bewegten sich in dieser Zone, tippten Notizen in PDA s und verständigten sich durch knappe, unfreundliche Zurufe.
Hinter mir schlug eine Tür zu und veranlasste mich, über die Schulter zu blicken. Die Detectives Basquiat und Fields kamen, begleitet von einem Schwall kalter Luft, wie ein böses Omen aus der Nacht herein. Zum ersten Mal konnte ich sie deutlich sehen. Basquiat war eine Blondine mit harten Gesichtszügen, deren Kleidung sämtliche Blauschattierungen aufwies – von klinisch bis hin zu konservativ. Ihr Haar – kurz und glatt – war an den Seiten nach kontinentaler Mode
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