Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)

Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)

Titel: Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
Vom Netzwerk:
gehabt, sich daran zu gewöhnen. Er war hierhergekommen, weil »hier« ein Ort war, zu dem er eine starke Bindung hatte – oder möglicherweise war er auch nur hiergeblieben, weil dies der Ort war, an dem er gestorben war. Doch in beiden Fällen schien die Tatsache, dass er sich hier materialisiert hatte, einstweilen die obere Grenze dessen darzustellen, wozu er fähig war. Er konnte nicht ins Leben zurückkehren, weil sein geisterhafter Körper keinerlei physische Objekte bewegen oder auch nur berühren konnte und noch nicht einmal sicher tun würde, was sein geisterhafter Wille ihm befahl. Einige Geister waren dazu verurteilt, ihren Tod bis in alle Ewigkeit immer wieder aufs Neue nachzuspielen; andere standen einfach da, so wie Sheehan in diesem Moment, und sahen verloren und ängstlich aus – geschlagen und zerbrochen durch die nicht mehr länger zu verleugnende Tatsache ihrer eigenen Sterblichkeit. Irgendwo war er sich unserer Anwesenheit bewusst, und sein Blick folgte Coldwood, als der Sergeant in die Hocke ging, um irgendein Detail, das ihm aufgefallen war, besser in Augenschein nehmen zu können. Aber es war, als sei Sheehan auf dem Punkt festgefroren. Er schaffte es nicht, die Entscheidung oder den Wunsch in die Tat umzusetzen, seinen augenblicklichen Aufenthaltsort zu verlassen.
    Coldwood deutete auf die Ligatur um Sheehans nackten Unterarm. »Er hat gespritzt«, sagte er und klang missmutig. »Dieses dämliche Arschloch hat sich selbst über den Jordan geschossen. Warum hat er das nicht daheim in seinem stillen Kämmerlein getan?«
    »Das habe ich mich auch gefragt«, pflichtete ich ihm bei. »Aber wenn Sie sich die Rückansicht anschauen, möchten Sie diese Diagnose möglicherweise überdenken.«
    Coldwood bedankte sich für diesen Rat mit einem weiteren vielsagenden Blick. Aber er erhob sich immerhin und ging um die traurige Gestalt herum, um mit ziemlich überraschtem Ausdruck Sheehans Hinterkopf anzustarren – oder genauer, die Stelle, wo er sich befunden hätte. Er war größtenteils nicht mehr dort. Der Schatten Leslie Sheehans verlor jegliches Interesse an dem Sergeant, sobald er nicht mehr zu sehen war. Er hob die Hände und schaute sich prüfend um, als versuchte er sich daran zu erinnern, wo seine Wagenschlüssel lagen.
    »Sie sind der Experte«, sagte ich, »aber ich tippe auf eine Schusswunde, erzeugt von einer Pistole, deren Mündung dicht vor dem Ohr gegen seine Schläfe gedrückt wurde und leicht nach hinten gerichtet war. Wenn er von hinten erschossen worden wäre, dürfte der größte Teil seines Gesichts die Austrittswunde sein.«
    »Es war keine Pistole«, murmelte Coldwood. »Es war eines dieser Bolzenschussgeräte, mit denen Rinder getötet werden.« Er deutete mit dem Finger auf die Stelle. »Die gesamte linke Seite des Schädels wurde eingedrückt, und fast die gesamte Knochensubstanz ist in der Wunde geblieben. Ein solches Verletzungsmuster findet man nicht bei einem Hochgeschwindigkeits… hey, wenn Sie sich hier drin übergeben, kriegen Sie ein Disziplinarverfahren an den Hals!«
    Die letzten Worte waren nicht an mich gerichtet, sondern an den Polizisten in Uniform, der schon vorher ein wenig angeschlagen ausgesehen hatte. Von dort, wo er stand, hatte der arme Teufel einen ungehinderten Blick auf einige von Sheehans intimsten Bereichen – nämlich die, die sich früher mal in seinem Schädel befunden hatten. Das schien ihm aber nicht sehr zu gefallen. Nach einem kurzen Kopfnicken Coldwoods rannte er zur Tür.
    Coldwood wandte sich dann wieder mir zu. »Wo ist die Leiche?«, fragte er. »Die echte, physisch greifbare Leiche? Wo finden wir ihn?«
    »Ich habe nicht die leiseste Ahnung«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Ich kann ihn fragen, wenn Sie wollen. Aber Sie können ihn auch selbst fragen. Er konnte Sie sehen, sogar als Sie ihn nicht sehen konnten.«
    »Aber Sie sind der Experte«, äffte er mich spöttisch nach.
    »Ein Exorzist ist nicht ganz das Gleiche wie ein Detective«, schoss ich todernst zurück. »Ich habe keine Dienstmarke, die ich ihm unter die Nase halten kann – und es ist ziemlich schwierig, einem Mann, der längst tot ist, die Würmer aus der Nase zu ziehen. Aber ich werd’s versuchen, wenn Sie mich mit ihm allein lassen. Ich tue es nicht, wenn Ihr gesamter Verein dabei zusieht.«
    Coldwood ließ sich das durch den Kopf gehen. »Okay«, sagte er, aber er drohte mir mit dem Finger. »Wenn Sie irgendein Beweisstück anfassen, mache ich Sie alle, Castor.

Weitere Kostenlose Bücher