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Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)

Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)

Titel: Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
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Haben Sie verstanden?«
    »Ich brauche keine Drogen«, erwiderte ich. »Mir reicht der Tod, für einen ordentlichen Trip.«
    Während er etwas Obszönes murmelte, gab Coldwood seinem Team ein Zeichen, sich zurückzuziehen. Es war ruhig und friedlich, nachdem sie gegangen waren, und ich entschied, mir ein wenig Zeit zu lassen und dieser neuen Stimmung Gelegenheit zu geben, sich zu entfalten, ehe ich mich direkt an Mister Sheehan wandte. Ich verstaute die Flöte in ihrer Tasche, die ich eigens zu diesem Zweck ins Innenfutter meines Mantels eingenäht hatte – ich bevorzugte russische Armeemäntel, weil sie eine Menge Sünden verbergen konnten –, und fand in einer Tasche gleich daneben einen silbernen Flachmann, der mit einem extrem scharfen griechischen Brandy gefüllt war. Ich trank einen Schluck, und er breitete sich in meinen Eingeweiden aus wie ein Feuer in einem verfallenen Gebäude. Er war nicht gut. Eher widerlich. Aber in Momenten wie diesem half mir der Stoff, mich weiter zu konzentrieren.
    Während ich einen zweiten Schluck in meinem Mund kreisen ließ, warf ich einen neuerlichen Blick auf die Wandkalender. Es war der übliche Softpornokram, wie man ihn in Herrenmagazinen antraf: Abbie Sowieso, Suzie Dingskirchen. Aber Sheehan fuhr auf Material ab, das weniger nullachtfünfzehn war, hatte Coldwood angedeutet. Nun, er hatte jetzt den Freuden des Fleisches entsagt, daran war nicht zu rütteln. Nachdem ich seit zehn Jahren diesen Job ausübte, wusste ich noch immer nicht viel über das Nachleben – aber ich war bereit, eine hohe Wette einzugehen, dass die Toten es nicht mehr allzu häufig trieben.
    Es hatte keinen Sinn, sich weiterhin Illusionen zu machen: Sheehans Erinnerung war vermutlich genauso löcherig wie das, was von seinem Schädel noch übrig war, daher müsste er Coldwoods fröhliche Truppe mittlerweile längst vergessen haben. Ich steckte den Flachmann ein und ging dorthin, wo der Geist stand – die Füße ein paar Zentimeter über den braunen Tüten, etwa dort, wo sich der Fußboden, genauer, die Falltür befunden hatte. Ähnlich wie eine Psychotherapie enthüllte der Tod die tiefsten Instinkte: Er bewachte sein Versteck.
    »Soso«, sagte ich im Plauderton zu ihm. »Sie sind also tot. Wie fühlt man sich dabei?«
    Sein Blick richtete sich auf mich, verharrte dort einen Moment, dann glitt er wieder weiter. Er hatte Probleme, sich zu konzentrieren, was eigentlich nicht allzu überraschend war.
    »Es muss ein ziemlicher Schock gewesen sein«, sagte ich. »Gerade spaziert man noch sorglos durch die Welt. Und im nächsten Moment nimmt einen irgendein Typ in den Schwitzkasten, schleift einen in eine Gasse und
rums!
, schon wird’s hinter den Augen taghell.«
    Sheehan runzelte die Stirn und machte mit der rechten Hand eine vage Geste. Seine Lippen bewegten sich.
    »Es dauert eine Weile, bis man begreift, was mit einem passiert ist«, fuhr ich mitfühlend fort. »Man denkt, schön, das war schlimm, aber ich bin Gott sei Dank noch da. Und dann verstreichen die Stunden, und einem kommen die ersten Zweifel. Warum stehe ich noch immer hier? Wie bin ich überhaupt hierhergekommen? Was soll ich als Nächstes tun? Und Tatsache ist, Kumpel, Sie können gar nichts tun. Nie mehr. Dinge zu tun ist ein Luxus, der nur den Lebenden vergönnt ist. Die Toten – na ja, die können meistens nur zuschauen.«
    Sheehans Augen weiteten sich. Ich hatte keine Ahnung, ob es an meinen Worten lag, die ihn irgendwie erreicht hatten, oder ob es nur die schwachen Regungen der Erinnerung in dem waren, was immer er jetzt als Geist benutzte. Seine Hände zuckten wieder, und als er diesmal redete, konnte ich ein raschelndes Flüstern hören, das klang wie Wind, der durch hohes Gras strich.
    »Armer – armer –«
    Selbstmitleid trifft man sehr oft bei Toten an, und man kann es ihnen eigentlich nicht übel nehmen. Es ist ja nicht so, als seien ihre Optionen besonders reizvoll. Selbst der Himmel, wie er von den meisten gesehen wird, ist ein Zustand der Einheit mit Gott und ständiger Lobpreisung seiner Güte, der nach den ersten paar Stunden ziemlich langweilig werden dürfte, geschweige denn nach dem Rest der Ewigkeit, die noch vor einem liegt.
    Andererseits war dieser Knabe ein Drogendealer und ein Pornohändler und wer weiß was sonst noch. Ich hatte nicht die Absicht, allzu viel Mitgefühl zu verschwenden, denn man wusste nie, wann man seinen Vorrat aufgebraucht hatte.
    »Ja«, sagte ich. »Es ist wirklich totale Scheiße.

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