Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)
auch die Büros in der Straße hinter mir waren noch verwaist.
Von Peace und den beiden
loup-garous
war nichts zu sehen. Das wertete ich als gutes Zeichen, denn wenn sie ihn erwischt hätten, würden sie ihn hier an Ort und Stelle sicher noch ausfragen oder verprügeln oder seine sterblichen Überreste verzehren. Es gab für mich nichts anderes zu tun, als mich rar zu machen, ehe jemand erschien, um nach der Ursache des Lärms zu forschen und den zertrümmerten Zaun zu untersuchen. Ich kehrte zur
Collective
zurück. Ich war jetzt in der richtigen Stimmung, um mir diesen Bastard Reggie Tang und seinen dämlichen kleinen Freund zur Brust zu nehmen und weitere Informationen aus ihnen herauszuholen.
Aber als ich zum Pier 17 zurückkam, erstarben sämtliche wohl ausgedachten Worte auf meiner Zunge, während ich verblüfft über den breiter werdenden Streifen Wasser auf das sich entfernende Heck der
Collective
starrte. Der Abstand betrug bereits gut drei Meter, und das Schiff schwenkte mit stampfenden zwei Knoten in die Flussmitte.
Reggie stand auf dem Deck, eine schwarze Seidenjacke über seiner Weste und seiner Hose, die Hände tief in den Taschen vergraben. Er bedachte mich mit einem unfreundlichen, abschätzigen Blick.
»Gehen Sie nach Hause, Mann«, sagte er und klang ernst und betrübt. »Bewahren Sie sich ein wenig Selbstachtung und gehen Sie nach Hause.«
Für einen verrückten Moment zog ich ernsthaft in Erwägung, diesen Sprung zu wagen. Ich wäre im klebrigen Themseschlamm gelandet und dort stecken geblieben, bis jemand mit einem Flaschenzug und einer Abschleppstange gekommen wäre, um mich herauszuziehen. Stattdessen blieb ich auf dem Pier stehen und beobachtete das Boot, bis es an der nächsten Flussbiegung außer Sicht geriet. Reggie blieb die ganze Zeit an Deck und behielt mich im Auge, als wollte er sich versichern, dass ich nicht irgendetwas versuchte. Nach einer Weile erschien Greg Lockyear, trat neben ihn und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Dann schob sich die reizlose Krümmung des Ferry Approach dazwischen, die
Collective
verschwand dahinter, und ich stand allein auf dem Pier und sah aus – wenn ich es einmal drastisch ausdrücken darf – wie ein kompletter Flachwichser.
8
Ich kehrte wieder in den Westen Londons zurück. Mit der Jubilee Line kam ich nur einen Steinwurf entfernt an Paddington vorbei – zumindest wenn der Stein mit einem Granatwerfer abgefeuert wurde. Irgendwann müsste ich für ein kurzes Schwätzchen mit Rosie Crucis dort noch einmal vorbeischauen. Aber dies war dafür nicht der geeignete Zeitpunkt. Ich fühlte mich noch immer ein wenig schmuddelig und verkatert, und man musste im Vollbesitz seiner Sinne und Kräfte sein, um gegen Jenna-Jane Mulbridge einigermaßen bestehen zu können. Außerdem liebte Rosie die Nacht sogar noch mehr als Nicky.
Ja, vielleicht schob ich das Unvermeidliche nur vor mir her, aber im Augenblick war es für mich der günstigste Weg.
Daher machte ich einen Abstecher zum Büro und holte meine Notration aus der untersten Schublade des Aktenschranks. Es war lediglich ein mit Alufolie verschweißter Blister mit acht ein wenig seltsam aussehenden Tabletten darauf – weiße Quadrate mit abgerundeten Ecken, mit einem großen D in Kursivschrift gekennzeichnet. Ursprünglich hatte die Packung zwölf Tabletten enthalten, aber vier waren bereits verbraucht. Die Arzthelferin, die sie mir im Verlauf einer kurzen, stürmischen Beziehung schenkte, hatte erklärt, das D stehe für
Diclofenac
, obgleich die Tabletten auch noch einige andere Wirksubstanzen enthielten. »Sie sind geradezu magisch«, sagte sie und schob sie mit einem hinterhältigen Grinsen in meine Brusttasche. »Das stärkste Schmerzmittel, das du je eingenommen hast, und dabei bleibst du wach und aufmerksam, als hättest du eine Handvoll Dexedrins eingeworfen. Nur achte darauf, nicht zu viel Alkohol dazu zu trinken. Oder … hmm … dich direkt in die Sonne zu setzen, denn mit diesem Zeug intus verbrennst du wie eine Bratwurst auf dem Grill.«
Es war wahrscheinlich das fürsorglichste Geschenk, das mir je gemacht wurde – wie ich herausfinden konnte, als ich die anderen vier schluckte. Jetzt schluckte ich zwei, und die Schmerzen und die Steifheit in meiner Schulter ließen fast augenblicklich nach. Ich war zurück im Rennen.
Mit Nicky noch ganz frisch im Gedächtnis hörte ich den Anrufbeantworter in meinem Büro sowie die Nachrichten auf meinem Mobiltelefon ab. Beide Überprüfungen
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