Fenster zum Zoo
wissen.
»Nichts.«
»Nichts von selbst«, verbesserte Sabine sie, »wir müssen ihr schon alles aus der Nase ziehen, wenn wir etwas wissen wollen. Zum Beispiel, wenn wir von einer Geburt im Zoo gehört haben, oder als der Regenwald eröffnet worden ist.«
»Dann hat sie sicher auch von der Geburt der beiden Malaienbären gesprochen?«
»Nein.« Sabine und Christine schüttelten die Köpfe.
»Vom Umzug der Eisbärin in die Niederlande?
»Auch nicht.«
»Aber sicher vom Kauf der drei Auerochsen?« – »Nein. Sie kennen sich aber gut aus«, sagte Christine verwundert.
»Na ja«, gab Muschalik zu, »ein bisschen.«
»Er rennt jeden Tag in den Zoo«, klärte Kraft sie auf, »er hat ja sonst nichts zu tun. Er ist eigentlich im Vorruhestand. Und stirbt vor Langeweile, deswegen ist er auch hier. Es miisste nicht sein.«
Die Rache des Olaf Kraft, dachte Muschalik. Er hatte seine karierte Schirmmütze in der Hand und war sicher, dass Christine und Sabine das gleiche Parfüm benutzten. Es war viel zu dick aufgetragen, seine Nase juckte. Kraft hingegen ließ sich von dem Duft betören und war ganz angetan von den beiden jungen Frauen. Mit seinen dunkelbraunen Augen nahm er abwechselnd Sabine und Christine ins Visier.
Muschalik räusperte sich. »Wie wäre es, wenn Sie uns jetzt Nellys Zimmer zeigen würden?«
»Ach ja«, sagte Sabine und ließ ihre Augen auf Kraft ruhen.
Christine schließlich erbarmte sich und führte Muschalik von der bunten Diele in eine Wohnküche, von der aus drei Türen in die so genannten »Eigenbereiche« führten, wie sie sagte. Entweder handelte es sich um eine sehr ordentliche Wohngemeinschaft oder die beiden Damen hatten sich auf den Besuch der Polizei vorbereitet. Um einen großen runden Glastisch standen fünf unterschiedliche Sessel, Sammlerstücke, die jeweils mit einem Kissen ausgestattet waren. Die Kissen hatten alle in der Mitte einen Knick. Auf dem Glastisch lagen Zeitungen ausgebreitet.
»Das ist unser Treffpunkt«, erklärte Christine, »wenn wir genug voneinander haben, ziehen wir uns in unsere Zimmer zurück.«
In der Spüle unter dem Fenster stand kein schmutziges Geschirr. Es roch nicht nach Essen, keine leere Flaschen, keine vollen Aschenbecher. An den drei Türen zu den »Eigenbereichen« klebten Namensschilder. Die mittlere Tür führte zu Nellys Zimmer. Muschalik wollte sie öffnen, aber sie war verschlossen.
»Moment, ich hole den Schlüssel«, sagte Christine und lief in die Diele, »wir dürfen die Zimmer der anderen nur im Notfall in ihrer Abwesenheit betreten. Das ist doch ein Notfall, oder?«
»Ja«, sagte Muschalik und wunderte sich über die strengen Regeln und darüber, dass sein Kollege noch mit Sabine in der Diele stand.
Christine kam mit einem Schlüsselbund zurück.
Das Zimmer lag wie eine Höhle im Halbdunkel, die Rollladen waren auf Luke heruntergelassen, das Licht, das Muschalik anknipste, ging von einer nackten Birne an der Decke aus.
»Nellys Zimmer ist das kleinste«, sagte Christine, »sie hat gesagt, es macht ihr nichts aus. Sie wäre nur selten da.«
Ein gemachtes, glatt gezogenes Bett, ein zweitüriger Schrank und eine Kommode, ein leerer Tisch und ein Stuhl, kein Bild an der Wand, keine Blume am Fenster.
»Sie wollte nicht lange bleiben«, sagte Christine, »eigentlich nur für einen Monat, aber dann ist sie doch geblieben. Sie sagte, dass sie ihre Sachen irgendwann aus Duisburg nachkommen lassen würde. Aber dazu kam sie bis jetzt nicht.«
»Fehlt denn hier etwas?«
»Es gibt hier nicht viel, wie Sie sehen.«
Muschalik warf einen Blick in den Schrank, der fast leer war, bis auf ein paar dicke Winterpullover und eine wattierte Jacke. Dann stieß er in der Kommode auf eine Schublade voller vergilbter Fotos von Bären, Tanzbären, Zirkusbären, Bären mit einem Ring in der Nase und an einer langen Kette, Bären in Verließen und viel zu engen Käfigen. Einsame Bären mit traurigen Augen, gequälte und misshandelte Bären. Bären, denen man die Tatzen abgehackt hatte. Muschalik legte die Fotos zurück, noch bevor er alle angesehen hatte, und schob die Schublade wieder zu. Von diesen Fotos bis zu Ben Krämers Kunstwerken war ein weiter Weg oder vielmehr eine unüberbrückbare Kluft. Doch dann öffnete er die Schublade ein zweites Mal, nahm die Fotos heraus und steckte sie in die Innentasche seines karierten Blousons. Christine beobachtete ihn dabei.
»Haben Sie schon mal zusammen etwas unternommen?«, fragte er sie.
»Nein. Nie«,
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