Fenster zum Zoo
plündern, aber das sollte es uns doch wert sein.«
Eine wunderbare Vorstellung, dachte Muschalik, wenn es wieder Bären in Deutschland geben würde. Frei lebende Bären, die niemand schießt und fängt, nicht für den Zirkus, nicht für den Zoo.
»Wie hat sich Nelly hier eingelebt?«, hörte er Kraft weiterfragen.
»Gut, würde ich sagen«, berichtete Professor Nogge, »sie macht ihre Arbeit, und die macht sie sehr gut, ansonsten ist sie an ihren Kollegen nicht besonders interessiert. Auch die Kollegen in Duisburg haben sie übrigens nur gelobt. Ihr Zeugnis ist einwandfrei.«
»Gewähren Sie uns einen Blick in ihre Personalunterlagen?«, fragte Kraft.
»Aber sicher.«
Aus Nellys Personalunterlagen, die auf dem Schreibtisch bereit lagen, erfuhren sie die üblichen Dinge, Alter, Geburtsdatum und Geburtsort, die Religionszugehörigkeit und die Steuerklasse.
»Nelly ist also ledig«, sagte Muschalik.
»Ja, das ist sie. Sie lebt allein, wenn man von ihren Mitbewohnerinnen einmal absieht.« Professor Nogge ordnete Nellys Unterlagen sorgsam, legte sie beiseite und sagte gedankenverloren: »Seit 1981 leite ich diesen Zoo. Wir haben keinen einzigen tödlichen Unfall zu verzeichnen. Und jetzt passieren zwei Todesfälle innerhalb von kurzer Zeit. Wie ist das nur möglich?« Aber er schien keine Antwort zu erwarten, denn sein Blick wanderte wieder zum Fenster.
Als Muschalik und Kraft wieder vor dem Verwaltungsgebäude standen, besprachen sie kurz ihre Vorgehensweise.
»Gut, dass wir die neuen Computer haben«, sagte Kraft, »ich werde im Präsidium mal sehen, ob sie irgendetwas über Nelly wissen.«
»Genau. Frag deinen großen Bruder. Danach wirst du nach Hürth fahren und Jartmanns Eltern die Todesbotschaft überbringen.«
»Feigling«, brummte Kraft.
»Ja, ich weiß. Ach, und noch was, schick ein paar Leute in die Häuser in den umliegenden Straßen. Irgendeiner muss doch was gesehen oder gehört haben. In der Stammheimer Straße 84 wohnt eine Frau Heimbach. Da geh ich selbst hin.
Wir sehen uns dann im Präsidium.«
* * *
Mühsam erklomm Muschalik die Stockwerke bis ins Dachgeschoss, aber in der Tür stand nicht Frau Heimbach, sondern ein Mann. Ein drahtiger Mann in den Vierzigern. Muschalik stellte sich vor und fragte nach Frau Heimbach.
»Da haben Sie Pech, sie ist im Krankenhaus, es geht ihr nicht besonders gut.«
»Dann sind Sie wohl der Pfleger?«
»Ja, ich bin der Krankenpfleger. Mein Name ist Berger, Thomas Berger. Ich habe Frau Heimbach versprochen, in der Zwischenzeit nach dem Rechten zu sehen. Ich komme einmal am Tag für ein paar Minuten her, leere den Briefkasten und gieße die Blumen. Ich wohne in der Nähe. Kommen Sie nur herein.«
Berger führte ihn in die Wohnküche. Muschalik stellte sich ans Fenster sah durch die Gardinen.
»Ein schöner Ausblick, nicht wahr?«, fragte Berger. »Deswegen wohnt Frau Heimbach wohl auch hier.«
»Darf ich die Gardinen beiseite ziehen?«
»Warum?«, fragte Berger erstaunt.
»Ich würde gern einmal einen freien Blick haben.«
»Nur zu.«
Muschalik zog die Gardine auf. »Was haben wir denn da?«, fragte er und griff nach einem Fernglas, das zwischen den Blumen auf der Fensterbank stand. Er hob es vor die Augen und sagte: »Volle Sicht auf die Bärenanlage.«
Über die große Freisichtanlage der Geparden hinweg, die mit ihren Hügeln, Sandflächen, Findlingen und Gebüschen an eine Savannenlandschaft erinnerte, konnte er ungehindert in das Reich des Grizzly blicken.
»Frau Heimbach kann ihre Wohnung nicht mehr verlassen, darum sitzt sie oft hier und genießt den Ausblick«, sagte Berger.
Muschalik konnte sich nicht erinnern, bei seinem letzten Besuch ein Fernglas auf der Fensterbank gesehen zu haben.
»Seit wann ist sie im Krankenhaus?«, fragte er.
»Seit über einer Woche schon, es sieht nicht gut aus.«
»Das tut mir Leid.«
»Danke. Vielleicht kommt sie doch noch einmal wieder.«
»Das hoffe ich.«
Muschalik erzählte Berger vom Mord in der Bären-Anlage in der letzten Nacht.
»Wie grausam«, sagte Berger entsetzt, »erschossen wurde der Mann, sagen Sie?«
»Ja.«
»Die erste Geschichte war ein Unfall, nicht wahr?«
Muschalik zuckte mit den Schultern.
»Es stand in der Zeitung.«
»Ich brauche Sie wohl nicht fragen, ob sie heute Nacht etwas gesehen oder gehört haben?«, fragte Muschalik.
»Nein, wie gesagt, ich bin ja immer nur kurz hier, und das tagsüber. Aber jetzt, da Sie es sagen, fällt mir etwas ein. Ich will niemanden
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